Agiles Arbeiten und Sinn im Lernen

Viele Schüler*innen sehen die Schule nur noch als Prüfungsmaschine. Sie hechten von Klausur zu Test, das dazwischen wird als notwendiges Übel gesehen. Einen Sinn können sie in dieser Konstruktion oft nicht erkennen.

Dabei wäre Sinn etwas, was wir in der Schule dringend gebrauchen können. Ein Baustein dazu, wie wir wieder Sinn in das Lernen in der Schule bringen können, ist Agiles Lernen. Das Grundkonzept habe ich schon einmal in einem vorherigen Artikel beschrieben (klick hier) und es gibt viele tolle Blogartikel zum Agilen Lernen.

Ich möchte hier meine Erfahrungen teilen, wie man mit dem Konzept des Agilen Lernens ein Angebot für einen Sinn im schulischen Lernen machen kann. Es kann nur ein Angebot sein, weil man „Sinn im Tun“ nur selber finden kann, er ist nicht durch einen Lehrplan zu verordnen. Aber als Lehrender kann ich einen Raum schaffen, dass die Schüler*innen einen Anknüpfungspunkt zu Ihren eigenen Ideen und Emotionen finden und damit ihr schulisches Lernen etwas mehr mit ihrem persönlichen Leben zu überlappen.

Erster Baustein: Im Agilen Lernen werden Produkte hergestellt, die etwas nützen. Der einfachste Nutzen kann es sein, eine Aufarbeitung der Lerngegenstände herzustellen, die bei dem nächsten Test oder Klausur helfen kann, die Aufgaben erfolgreich zu lösen. Das setzt natürlich eine Prüfungskultur voraus, in der die Schüler*innen ihre Aufzeichnungen bei den Prüfungen nutzen dürfen.

Zweiter Baustein: Agiles Lernen ist nicht linear, sondern asynchron. Es wird nicht stur ein Lernplan (Chapter 2-7) abgearbeitet, sondern die Lernenden entscheiden im Team ihre Arbeitsschritte. Eben agil, an die gerade vorhandenen Notwendigkeiten angelehnt. Wenn Schüler*innen ihre Lernwege selbst bestimmen können, trägt es zur Sinnfindung im Lernen bei. Das muss nicht heißen, dass es keine linearen Übungsphasen geben kann, sie sind aber eher ein Exkurs.

Dritter Baustein: Lernergebnisse haben einen Wert. Sie werden nicht nur zur Notenermittlung erstellt, sondern haben einen realen Wert: Sie werden ausgestellt, anderen Schüler*innen zur Verfügung gestellt, veröffentlicht usw.

Vierter Baustein: Lernen findet nicht nach einem vorgegebenen Plan statt, sondern den Plan machen die Schülerinnen in ihren Team selber. Die Schülerinnen-Team stellen ihren Backlog zusammen, erstellen Tasks und teilen die Aufgaben in ihrer Gruppe auf. Flankierend gebe ich als Lehrender inhaltliche Inputs oder Strukturierungshilfen für die Teamarbeit, z.B. in Form einer Fortschrittsliste.

Ein typischer Workflow im Agilen Lernen sieht folgendermaßen aus:

Ich erstelle einen Arbeitsplan, in dem ich den Rahmen des Lernprojekts abstecke. Darin enthalten ist das inhaltliche Thema (worum geht es?), Aufgaben und Arbeitsvorschläge (hier achte ich darauf, dass alle Anforderungsbereiche abgedeckt sind), freie Aufgaben sowie Materialien und Links.

Das zu erstellende Produkt, das das Team am Ende abgeben muss, lege ich fest oder bespreche mit der Klasse das Produkt.

Zuerst erstellen die Teams einen Backlog, sie sammeln alle Teilaufgaben auf Post-Its und kleben sie auf ein Blatt. Das kann auch die Form eines Brainstormings haben. Die Schüler*innen sammeln erste Ideen für ihr Team-Produkt (z.B. ein Dossier, ein Portfolio, eine Präsentation, einen Film usw.).

Dann geht es in den ersten Sprint: Aus dem Backlog werden die Aufgaben/Post-Its, die in dem ersten Zeitabschnitt (z.B. eine Woche) erledigt werden sollen, im Kanban-Board nach „To-Do“ verschoben. Dann wird genau geschaut, ob die Aufgaben auf den Klebezetteln auch wirklich in einem Sprint zu schaffen sind oder zu umfangreich sind (was bei Schüler*innen schnell passiert). Dann muss die Aufgabe auf mehrere Post-Its verteilt werden.

Nach diesem Schritt werden die Aufgaben im Team verteilt: Sprint-Planning. Die Tasks werden in die Spalte „Doing“ verschoben. Und dann geht die Arbeit los.

An einem festgelegten Zeitpunkt wird die Arbeit für ein Stand-up-Meeting unterbrochen: Für ca. 5 Minuten trifft sich das Team vor dem Kanban-Board und bespricht den Arbeitsstand. Dann geht die Arbeit weiter.

Am Ende des Sprints muss Zeit eingeplant werden, den Zwischen-Arbeitsstand, den Prototypen des Produkts, beim Product Owner (meist die Lehrperson) abzugeben (Sprint Review). Die Lehrenden können dann bis zur nächsten Woche (nächster Sprint) sich die Zwischenergebnisse anschauen und ein Feedback geben.

Zum Schluss trifft sich das Team und macht eine Retrospektive und schreibt stichwortartig auf, wie die Teamarbeit im Sprint gelaufen ist und was im nächsten Sprint verbessert werden soll.

In der nächsten Woche beginnt der Kreislauf von neuem. Man verabredet vorher, wieviele Sprints vorgesehen sind und wie perfekt das Produkt am Ende sein soll.

Es ist völlig egal, ob man diesen Prozess analog oder digital durchführt. Analog arbeite ich mit Flipchartpapier und gelben Post-Its, jedes Team hat ein Kanban-Board. In letzter Zeit arbeiten die Schüler*innen mehr digital, dann erstelle ich ihnen auf Taskcards ein Board, das sie sich selber gestalten.

Am besten man fängt einfach mal an und geht mit den Schülerinnen zusammen auf Entdeckungsreise in der Welt des Agilen Lernens. Die Schülerinnen werden sich freuen, selbstbestimmter Teil des Projekts zu sein.

Ein ganzes Kollegium erstellt Lernumgebungen in Moodle

Der Dienstag nach dem Reformationstag in Hamburg. An der Reformschule Winterhude trifft sich das ganze Kollegium in der Aula, um gemeinsam Unterrichtsvorbereitung zu machen. Der Rahmen ist eine Ganztagskonferenz.

Dabei ist diese Unterrichtsvorbereitung etwas besonderes: Das Kollegium hat sich verabredet, Lernumgebungen in dem Lern-Management-System (LMS) Moodle zu erstellen. Dabei ist der Begriff „Lernumgebung“ neu. Der Begriff ist aus der Diskussion um Digitales Lernen entstanden und meint die digitale Bereitstellung aller Ressourcen für die Bearbeitung eines Themas oder einer Lerneinheit.

In der klassischen Schule war der Lehrende der Hüter der Lerneinheit, er/sie führte die Schüler*innen durch eine meist lineare Vergabe von Aufgaben durch die Einheit. An der Winterhuder Reformschule (WiR) wird schon seit Jahrzehnten in sog. Bausteinen gelernt, mit denen sich die Lernenden im eigenen Tempo und Auswahl der Aufgaben durch die Lerneinheit bewegen konnten. Meist waren diese Bausteine eine zusammengeheftete Sammlung von Arbeitsblättern, die nacheinander abgearbeitet wurden.

Die Digitalisierung brachte ganz neue Möglichkeiten. Gepusht durch die Pandemie, hat sich die WiR konsequent auf das Lernen mit digitalen Ressourcen umgestellt. 90% aller Schülerinnen und alle KollegInnen haben iPads, das Schul-WLAN ist für alle zugänglich. Alle in der Schule haben eine eigene Email-Adresse, für die Kommunikation nutzen wir iServ. Es fehlte noch eine passende digitale Lernplattform, das in der Anfangszeit der Corona-Pandemie genutzte Microsoft-Teams wurde vom Datenschutzbeauftragten verboten.

Vor einem Jahr einigte sich die Schulgemeinschaft, die Open-Source-Software Moodle als Lernplattform zu nutzen. Ein Jahr verging mit Skepsis, vorsichtigen Herantasten, Begeisterung bei einigen Kolleg*innen und auch grundsätzliche Debatten, ob wir nicht wichtigere Probleme lösen müssten. Jetzt nach dem Reformationstag war die Zeit reif, sich gemeinsam an die Arbeit zu machen. Die Aula wurde neben dem Plenum zu einem Co-Working-Space. Das Support-Team lief in gelben Westen umher, um schnell technische Tipps zu geben.

Die Vorerfahrungen mit Lernplattformen und digitalen Tools ist im Kollegium (wie wahrscheinlich in allen Schulen) sehr unterschiedlich. Trotzdem ist es an diesem Tag gelungen, ein Gefühl des „wir arbeiten alle zusammen an Lernumgebungen“ für unsere Schüler*innen. Schon die Vorbereitung und die Konferenzplanung lief über Moodle. In Austausch- und Wertschätzungsrunden wurde sich gegenseitig über das Geschaffte berichtet. Für einige Kolleg*innen war es der erste Kontakt mit Moodle, andere haben ihre schon vorhandenen Lernumgebungen verfeinert und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten weiter ausgelotet.

In der Unterrichtspraxis läuft natürlich nicht gleich alles rund: Aber ist aus meiner Sicht auch ein wichtiges Signal an die Schülerinnen, dass auch die Lehrerinnen Lerner sind, die sich in die neuen Möglichkeiten digitaler Ressourcen einarbeiten.

In den Lernumgebungen im Moodle werden zwar alle Lernaufgaben und Aktivitäten bereitgestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lernenden nur alleine vor dem Gerät sitzen. Die Organisation der Beziehungen und Beratungen im Lernprozess ist jetzt die zentrale Aufgabe der Lehrer*innen geworden.

So hat uns der Reformationstag auch einen weiteren Schritt in der reformpädagogischen Entwicklung an der Reformschule Winterhude gebracht. Es werden noch viele weitere notwendig sein. Wir sind guten Mutes.

Design Thinking in den Einstiegsprojekten an der WiR

Morgens um 9:00 Uhr, Hamburg-Winterhude, Reformschule. Sprint-Planning für 36 Schülerinnen im Einstiegsprojekt „Global|Lokal“. Acht Teams aus Schülerinnen entwickeln Prototypen für eine Verbesserung der Welt.

Auf dem großen Bildschirm im Raum steht das TaskCard-Board mit dem Kanban-Board des Projekts. Die Karten mit den Aufgaben (Tasks) werden von der Spalte „To do“ zu „Doing“ geschoben. Die Aufgaben des Projekts werden für den Tag festgelegt. Mikis und Norbert ordnen den Tag in die Phasen des „Design Thinking“ – Prozess ein. Die Teamspalten im Board zeigen die Karten mit den Ergebnissen des „Sprint-Reviews“ des Vortags an. Es werden die Ergebnisse des Vortags diskutiert, auch was noch fehlt.

Dann werden die Teams in ihr teaminternen Sprint-Planning entlassen. Sie beugen sich auf ihren iPads über ihr Board.

Wie kann man junge Menschen zu mehr Naturschutz animieren?
Wie kann man nachhaltige Produkte auch Menschen mit wenig Geld zugänglich machen?
Wie kann man den Kinderschutz verbessern?
Wie kann man eine schulinterne Plattform für Second-Hand-Kleidung aufbauen?
Wie kann man die Situation für systemrelevante Berufe verbessern?
Wie kann man einen kostengünstigen Wasserfilter bauen?
Wie kann man Klischees über die Gleichberechtigung begegnen?
Wie kann eine Stadt aussehen, die echte Gleichberechtigung ermöglicht?

Wir sind im Einstiegsprojekt „GlobalLokal“, das mit Hilfe der „Design-Thinking-Methode“ Projekte zur Verbesserung der Welt entwerfen will. An der Reformschule Winterhude in Hamburg arbeiten alle Oberstufenschüler*innen die ersten drei Wochen des Schuljahrs an besonderen Projekten außerhalb des normalen Klassenverbands.

SCRUM-Planspiel „Eine Stadt planen“

GlobalLokal führt die Schüler*innen durch den Design-Thinking-Prozess und nutzt die agilen Methoden des Scrum-Rahmenwerks. Wir orientieren uns an den Materialien aus Design Thinking in der Schule und dem Digital Innovation Handbook. Nachdem in der ersten Woche die jungen Menschen noch durch den Prozess von Projekt-Backlock, Sprint-Planning, Stand-Up-Meetings, Sprint Reviews und Retrospektiven geleitet wurden, haben sie mittlerweile eigene Teams gegründet und führen den interativen Prozess zu ihren Projekten selbstständig durch. Alle Teams haben ein eigenes Kanban-Board auf Taskcards.de erhalten.

Zum Üben haben wir ein kleines Planspiel zum agilen Planen einer Stadt durchgeführt. Dieses habe ich in einem älteren Beitrag schon einmal vorgestellt.

Der Design-Thinking Prozess

Einen weiteren Input zum Thema Projektentwicklung gab Chris von GoBanyo aus Hamburg, in dem er von der Entwicklung des Duschbus für Obdachlose berichtete (https://gobanyo.org).

Einen guten Überblick über das Arbeiten mit agilen Tools gibt es in den Materialien einer Fortbildung von Uta Eichborn und Petra Walenciak bei Zeit für Lehrer (https://www.zeitfuerdieschule.de/veranstaltungen/zeit-fuer-lehrer/), die in einer Aufzeichnung nachzusehen ist.

An der Winterhuder Reformschule gibt es gerade eine große Bereitschaft, das Lernen mit agilen Methoden in den Fokus zu stellen. Wir werden in einzelnen Fächern agil arbeiten und das Konzept des SCRUM-Rahmenwerks auf den Unterricht anwenden.

Dazu werde ich an dieser Stelle weiter berichten.

Material:
Hopp-Foundation, Design-Thinking in der Schule, freier Download
Dark Horse Innovation: Digital Innovation Playbook, Murrmann, ohne Ort

Start in den Hybridunterricht: Es geht doch.

Heute, Mittwoch der 15.12.2020, gehen wir in den Schullockdown. Anders als in anderen Bundesländern bleiben die Schulen in Hamburg offen. Die Präsenzpflicht wird ausgesetzt. Endlich haben wir die Möglichkeit, hybrid den Unterricht zu gestalten.

Heute Mittwoch, 8.30 Uhr. Ich öffne den Video-Konferenzraum für die Werkstatt Licht in den Jahrgängen 8-10 an der Winterhuder Reformschule. Es sind schon zwei Schüler vor mir da. Okay, einer erzählt, er liege noch im Bett. Aber hat sein iPad vor der Nase und ist bereit. Eine kurze Blitzlichtrunde ergibt, dass alle guter Dinge sind und positiv in den Fernunterricht gehen. Keiner hat Bedenken.

Also muss ich die Bande aus dem Bett holen. Auftrag: Sammelt farbige Gegenstände in eurem Zimmer und sortiert sie in der Reihenfolge des Farbspektrums. Macht ein Foto und ladet es auf unserer Flinga-Whitewall. 20 Minuten Zeit.

Das Farbspektrum

Die ersten sind nach 10 Minuten fertig, es gibt kreative Ergebnisse zu bestaunen. „Wie komme ich in die Flinga-Wall?“ Ich muss nichts sagen, sofort ist ein Mitschüler da und gibt den entscheidenden Tipp. Alles findet sich auf unserem Kurs-Padlet.

Das Padlet

Dann arbeiten die Schüler_innen selbstständig in ihren Werkstatt-Tagebüchern an ihren Themen. Die Werkstatt bietet freie Lernangebote, bei der sie selbst Schwerpunkte setzen können. Nach 45 Minuten sollen sie ihre beste Aufgabe, die sie bisher zum Thema Licht bearbeitet haben, als Mini-Portfolio abgeben. Dazu fotografieren sie entweder als Screenshot aus ihrem iPad oder als Foto aus ihrem Papier-Heft ihre Arbeit ab und laden sie im Aufgaben-Tool in MS-Teams hoch.

offene Arbeitsmöglichkeiten in der Werkstatt Natur

Die letzten 10 Minuten gehören dem Feedback und den Wünschen für schöne Weihnachtsferien.

Aber auch: vier Schüler waren nicht da. Ich habe die Klassenleitungen angeschrieben, ob sie etwas gehört haben, ob sie krank sind oder anderes. Wir lassen keinen zurück.

Mich stört, dass immer wieder von „Lernrückständen“ im Zusammenhang von hybridem Lernen gesprochen wird. Dieser Begriff suggeriert das Ideal, dass alle Schüler_innen „auf den gleichen Stand gebracht“ werden müssen. Wir wissen aber doch durch die Lernforschung, dass Lernen ein sehr individueller, manchmal chaotischer und nicht linearer Vorgang ist. Wir Lehrenden haben die Aufgabe, möglichst günstige, vielfältige Lernmöglichkeiten zu schaffen. Die Idealisierung des Präsenzunterrichts, in proppenvollen Klassen, in lärmenden Umgebungen, dann noch mit Masken, sind alles andere als eine ideale Lernumgebung. Das heißt nicht, das Präsenz nicht wichtig ist. Doch wir sollten vielfältig, flexibel, eben agil die Umgebung gestalten.

Agiler Geschichtsunterricht

Am Anfang des Schuljahres musste ich spontan einen Geschichtskurs im Jg. 11 übernehmen. Ich hatte keine Zeit mehr, mich fundiert auf die inhaltlichen Herausforderungen des Bildungsplanes einzuarbeiten. Da erinnerte ich mich an meine Session auf der Edunautika im September 2020 zum Thema Agiles Lernen. Ich konzipierte also den Geschichtskurs, der epochal stattfand mit 10 Unterrichtswochen, nach agilen Prinzipen. Die Epoche ging heute zu Ende, und ich möchte hier eine erste Bilanz der agilen Unterrichtssequenz geben.

Agiles Lernen heißt, flexibel auf ein Ziel hinzuarbeiten, im Team zu agieren, den Arbeitsprozess vor den Lehrplan zu stellen und die Erstellung eines Arbeitsproduktes in festgelegten Schleifen (Sprints) zu gestalten. Die Prinzipien des agilen Arbeitens sind im Agilen Manifest dargelegt.

„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge

Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation

Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung

Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Agile_Softwareentwicklung

Im Bildungsplan Geschichte in Hamburg sind vier Oberthemen mit jeweils sechs Beispielen aus unterschiedlichen Epochen vorgegeben. Es geht um die geschichtliche Orientierungskompetenz.

Ich habe die Klasse in Teams von 3-4 Schüler_innen aufgeteilt und ihnen den Auftrag gegeben, sich auf ein Oberthema zu einigen, das sie bearbeiten wollen. Der Auftrag umfasst die Erarbeitung des Oberthemas und die Erstellung eines Produktes, das für die anderen Schüler_innen das Thema erfassbar macht. Das Produkt kann eine Präsentation, eine Broschüre, ein Podcast, ein Video o.ä. sein. Die Auswahl steht dem Team frei. Das Produkt sollte aber unabhängig von einer Präsentation vom Konsumenten genutzt werden können.

Jedes Team sucht sich drei Epochenthemen für das Oberthema aus, die sie bearbeiten wollen – pro Teammitglied eines. Es soll aber ein gemeinsames Produkt entstehen.

Die Kommunikation der Teams erfolgt über ein Padlet. Jedes Team bekommt eine Spalte im Padlet – und schreibt zuerst die Themen und Epochen hinein, auf die sich das Team geeinigt hat.

Der Geschichtskurs ist 2-stündig, 90 Minuten. Am Anfang der Stunden gebe ich eine strukturierende Übersicht und einen Input. Der erste Input bezieht sich auf die agile Methode. Diese Inputs können in einer eigenen Spalte im Padlet nachvollzogen werden. Weitere Inputs beziehen sich auf das

• Bearbeiten von historischen Quellen, auf die
• Übersicht über die geschichtlichen Epochen und auf die
• Unterschiede von Sach- und Werturteilen.

Jedes Team bekommt ein Kanban-Board auf einem Flipchart-Papier. Mit einem Stapel Post-Its ausgerüstet, planen die Teams ihre ersten Sprints. To Do – Doing – Done sind die Spalten im Kanban-Board. Wichtig ist dabei, das die Tasks, die Aufgaben-Einheiten, in einer Woche von einer Person zu erledigen sind. Auf den Post-Its werden die Aufgabe und der Name des Teammitglieds geschrieben, die die Aufgabe übernimmt.

Dann ging es in vier Sprints. Ein Sprint ist ein Zyklus, in dem ein Produkt entwickelt wird. Ein Sprint läuft in einem festgelegten Ablauf ab. Bei uns lief der Sprint über eine Woche, von Stunde zu Stunde:

• Sprint Planning: Das Kanban-Board wird mit Tasks bestückt und auf das Team verteilt.
• Task-Operation: Aufgaben abarbeiten
• Stand-Up-Meeting: Kurze Treffen, die den Stand der Arbeit austauschen
• Sprint-Review: Was wurde im Sprint geschafft, was muss im nächsten Sprint erledigt werden?

Das Team erstellt einen kurzen Sprint-Review-Bericht, den es in seine Spalte im Padlet stellt. Der Bericht dient als Arbeitsnachweis.

Und dann beginnt der Zyklus von neuem, mit neuen Tasks. Vorteil dieser Methode ist, dass keine starre Zeitplanung eingehalten werden muss, sondern flexibel, agil, auf die Arbeit des Teams reagiert werden kann. Jedes Team macht seinen eigenen Plan. Es wird kein Plan vom Lehrenden vorgegeben.

Das heißt aber auch für mich als Lehrer, Kontrolle abzugeben. Ich war nicht mehr im Bilde über den Arbeitsstand in den Team und musste auf die Arbeit der Schüler_innen vertrauen. Das ist ein ganz wichtiges Element im agilen Arbeiten. Das Loslassen von der Kontrolle – das ist eine schwierige Aufgabe und ein großer Rollenwechsel.

Die Ergebnisse der Schüler_innen waren meist Präsentationen, von denen einige sogar mit einer Audiospur besprochen wurden. Eine Gruppe hat eine Broschüre erstellt, eine andere ein Plakat. Die Produkte können alle Schüler_innen des Kurses für die weitere Arbeit im Fach Geschichte mitnehmen.

Nach der Fertigstellung der Produkte stellten die Team in „Vermittlungsgruppen“ ihre Ergebnisse vor. Wir bildeten drei Vermittlungsgruppen, in den jeweils ein Vertreter jeder Gruppe saß. Die erste Vermittlungsrunde diente der Information, in der zweite Vermittlungsrunde erfolgte die Diskussion übergeordneter Fragestellungen. Die Fragen wurden von mir vorgeschlagen und dienten der Vorbereitung eines Fachgespräches in der ganzen Klasse. Die Schüler*innen konnten aus einer Expertenrolle heraus allgemeine Fragen zur historischen Orientierungskompetenz diskutieren. Die beiden Vermittlungsrunden waren je 90 Minuten lang.

Den Abschluss der Erarbeitung bildete das Fachgespräch. Hier wurden die in den Vermittlungsrunden andiskutierten Fragen wieder aufgenommen und in der ganzen Klasse diskutiert. Hier habe ich als Lehrender die Moderation übernommen, um Impulse und Strukturierung geben zu können. Ziel des Fachgespräches war die Einordnung historischer Ereignisse in geschichtliche Prozesse und die Diskussion von Ursachen und Wirkungen von Ereignissen. Die Schüler*innen konnten ihre erarbeiteten Ergebnisse in einen größeren Kontext einordnen.

Das Fachgespräch wurde hinsichtlich der Qualität der Beiträge bewertet und war neben den Produkten und der Dokumentation der Sprints der dritte Baustein in der Bewertung der Kursleistung. Es gab dabei gemäß dem Kompetenzprinzip („es gibt keine negativen Kompetenzen“) keine falschen Aussagen. Ich benutzte das von mir erstellte Kompetenzraster. Das Ziel war nicht ein Abfragen von Wissen, sondern die Schüler*innen dazu zu bringen, über historische Zusammenhänge zu diskutieren.

Den Abschluss der Epoche bildete die (leider) obligatorische Klausur.

Im Feedbackgespräch habe sich die Schülerinnen alle positiv über die Arbeitsmethode des Agilen Lernens geäußert. Sie hätten gerne mehr Zeit gehabt, die Prinzipen einzuüben. In der Tat waren 10 Wochen eine kurze Zeit, sich an ein neues Konzept zu gewöhnen. Die Arbeitsorganisation über das Padlet haben die Schülerinnen als hilfreich und übersichtlich empfunden.

In der nächsten Klasse werde ich dieses Konzept verfeinern. Die in der Klausur deutlich gewordenen offenen Bereiche wie der Umgang mir Quellen und Zitaten oder die Erstellung eines Sachurteils werde ich in der nächsten Epoche mehr berücksichtigen. Für die Kürze der Zeit war diese agile Geschichtseinheit eine gelungenes Experiment.