Corona verändert die Schule

Wir sind noch mittendrin. Ich glaube nicht, dass die Schulen so schnell wieder aufmachen. Wenn die Abiprüfungen denn stattfinden sollen, wird man sicher nicht nebenbei hunderte von Schülern rumspringen lassen. 

Aber das ist alles Spekulation. 

Meine These: Nach der Schulöffnung wird, oder sollte, nichts mehr sein wie es war. Wir haben durch die Schulunterbrechung durch Corona auch die Chance, Schule und Bildung so zu verändern, dass sie endlich auch im 21. Jahrhundert ankommen können. 

Für mich als seit zehn Jahren in der digitalen Bildung aktiven Lehrer ist es natürlich spannend zu sehen und zu begleiten, wie plötzlich die Möglichkeiten des Lernens über das Internet von vielen genutzt wird. Plötzlich bekommt das digitale Zeitalter auch in der Schule eine Chance. Digitales Lernen kommt aus der Nische einiger Aktivisten in die Breite der täglichen Schulaktivitäten. 

Das bedeutet aber auch, dass es einen qualitativen Sprung geben muss. Wir sollten nicht die Nase über diejenigen Kolleg_innen rümpfen, die pdfs über Mails verschicken, aber wir dürfen nicht dabei stehen bleiben. Wir haben die einmalige Chance, diese Kolleg_innen mitzunehmen und gemeinsam eine qualitativ neue Form des Lernens zu etablieren. 

Es wird darauf ankommen, wie wir die Erfahrungen, die wir jetzt machen, in die Zeit nach den Schulschließungen hinübernehmen. Eine Erfahrung ist auf jeden Fall, dass die persönliche Begegnung, die Beziehung, unersetzlich ist. Das Verhältnis zwischen Anwesenheitskultur und eigenem Lernen sollten wir diskutieren und neu austarieren. Viele meiner Schüler_innen berichten, dass sie zu Hause viel mehr schaffen, ihnen aber der Kontakt zu den Mitschüler_innen fehle. 

Der Vorstoß von Frau Prien aus Schleswig-Holstein war ein erster Testballon. Ihm wurde zwar schnell wieder die Luft rausgelassen, das Thema wird aber weiter aktuell bleiben: Wir halten wir es mit dem Abitur? Wie wichtig sind Abschlussprüfungen? Und herunter dekliniert: Wie wichtig sind prüfen und bewerten? Wie ist das Verhältnis von Lernen und Auslese an der Schule? 

Die Irritationen, die die Frage aufwirft, wie kann ich eigentlich Leistung bewerten in Zeiten der Schulschließungen, zeigt in die Richtung. Sie zeigt, dass wir die Frage, ob und wie wir bewerten in der Schule, neu durchdacht werden sollte. Wir haben jetzt durch den Schul-Break die Chance, Leistungsbewertung neu zu diskutieren

Das Abi wird dabei das dickste Brett, weil es die heiligste Kuh des deutschen Bildungsbürgertums ist. Es ist der Ausweis dafür, ob man dazugehört oder nicht. Nicht umsonst berichtete eine angehenden Abiturientin neulich bei Hart aber Fair unter Tränen, dass ihr die wichtigste Zeit ihres Lebens mit Mottowochen und Abifeiern genommen würde. Und das neben Berichten von Krebspatienten, die als Risikogruppen in einem Gesundheitsgefängnis in Isolation gehalten werden und Angst davor haben, ohne ihre Angehörigen sterben zu müssen. Soviel zu den Verhältnissen. 

Wir sollten diese Zeit dafür nutzen nachzudenken, ob das Abitur in dieser Form noch in das 21. Jahrhundert passt. 

Die Regeln, die zum Abitur führen sollen, die Bildungspläne, stammen in Hamburg aus dem Jahre 2009.  Das iPhone war gerade auf dem Markt, die Eurokrise in vollem Gange. Wir wissen alle, welche rasanten digitalen Veränderungen das letzte Jahrzehnt gebracht hat. Die Globalisierung hat in den zehn Jahren eine nie dagewesene Geschwindigkeit erlebt. Ein Virus konnte sich in nicht vorstellbarer Geschwindigkeit in der Welt verbreiten. 

Und wir arbeiten noch Bildungspläne von 2009 ab? Ist das noch zeitgemäß? 

Wir stehen vor einer Menschheitskrise, sagt Joschka Fischer in der Taz vom 4.4.20. Machen wir die jungen Leute fit, Krisen zu bewältigen, in dem wir Bildungspläne abarbeiten? Brauchen wir nicht ganz neue Konzepte, um auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren zu können? 

Auch wenn wir die Corona-Krise überwunden haben werden, wird die nächste Krise vor der Tür stehen: Keiner weiß, wann die Kipppunkte der Klimakrise wirklich kippen. 2008 hatten wir die Immobilienkrise, 2009 die Eurokrise, 2015 die Flüchtlingskrise, 2020 die Coronakrise, 2025 die Klimakrise? 

Brauchen wir eine Schule, die die jungen Leute auf den Umgang mit Krisen vorbereitet? Ich glaube ja! Sie brauchen die Flexibilität und Kreativität, auf unvorhergesehenes reagieren zu können, sie brauchen die Kommunikation, weil die Herausforderungen nur gemeinsam gelöst werden können (ob nun die Suche nach einem Impfstoff oder die Organisation der Pflege in einem Altenheim), sie brauchen das kritische Denken, vorgefertigte Konzepte zu hinterfragen. Ich bezweifle, dass das in nach Schul-Fächern getrennten Bildungsgängen an der Schule möglich ist (auch wenn sie vielleicht irgendwann nicht mehr aus 2009 stammen). 

Andreas Schleicher sagte dazu (schon vor der Coronakrise): 

In den Schulen von heute lernen Schülerinnen und Schüler meist individuell und am Ende des Schuljahres bescheinigen wir ihnen ihre persönlichen Leistungen. Je stärker die Welt aber von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägt ist, desto mehr brauchen wir Menschen, die gut zusammenarbeiten und die das Miteinander koordinieren. Innovationen werden heute selten von Einzelpersonen hervorgebracht, sondern sind vielmehr ein Produkt unserer Fähigkeit, Wissen zu aktivieren, zu teilen und zusammenzuführen. Schulen müssen daher Lernumgebungen entwickeln, in denen Schülerinnen und Schüler lernen, selbstständig zu denken und gemeinsam mit anderen zu handeln.

https://www.forumbd.de/blog/andreas-schleicher-chancen-der-digitalisierung-fuer-schule/

Lasst uns in die Diskussion kommen, wie wir nach dem Corona-Break die Schule ins 21. Jahrhundert bringen können. Vor allem lasst uns handeln. 

Ferienbeginn: Zeit für eine Rückschau

Anfang Juli: Woche für Woche hat ein weiteres Bundesland Ferien. Ich war heute noch einmal in der Schule in der ersten Ferienwoche, um die letzten Bilder aufzuhängen, die letzten Zettel wegzuschmeißen und die letzten Dateien auf dem Schulserver zu archivieren. Für mich werden die beginnenden Ferien ganz große Ferien, denn ich setze ein Jahr als Sabbat aus, nach 28 Jahren Lehrer ein Jahr des Innehalten und Besinnens auf den nächsten Schritt.

Dieser Zeitpunkt ist eine gute Gelegenheit, Rückschau zu halten, etwas schlaglichtartig auf die Dinge schauen, die mich in Schule und Bildung bewegen. Vielleicht beschäftigt sich ja der eine oder andere Leser ebenfalls mit einer kleinen Bilanz.

Abitur

Ich habe jetzt im Juni den dritten Abiturjahrgang in Folge verabschiedet. In sechs Jahren habe ich in drei Profildurchgängen der Studienstufe 12/13 versucht, eine gute Mischung zwischen formalen Lernen nach Bildungsplan, Förderung der Selbstständigkeit der jungen Leute im Lernen und das Lernen in Projekten hinzubekommen. Für mich war die Kategorie Bildung immer das Wichtigste, eine Haltung, die es den jungen Leuten ermöglicht, an den gesellschaftlichen Diskursen teilzuhaben und die Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.

Mit diesem Ansatz bin ich allerdings nicht oft auf große Gegenliebe bei den Schüler_innen gestoßen. Ihr Abimotto „Nichts gerafft, und trotzdem geschafft“ hat mich doch nachdenklich gestimmt. Es machte den Eindruck, dass viele Schüler_innen mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst großen Ertrag herausbekommen wollten. Ein Spaß an der Auseinandersetzung mit Themen, eine Freude, eigenständig eine Sache zu erarbeiten, die Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen, waren selten zu spüren.

In den Projekten konnten die Schüler_innen eigene Schwerpunkte setzten. In den Projekten „Gentrifizierung in Hamburger Stadtteilen“, „Europa-Ausstellung“ und „Schülerkongress“ habe ich die Verantwortung für das Lernen möglichst weitgehend an die Schüler_innen abgegeben. Leider musste ich feststellen, dass Qualität erst mit einem notenbasierten Anforderungsprofil ins Spiel kam. Das hat mich nachdenklich gemacht: Haben wir unsere Schüler_innen in den 12-13 Jahren Schule so unselbstständig gehalten, dass sie kein eignes Gefühl für Qualität entwickeln konnten? Können sie nur auf äußere Anforderungen hin selbstständig lernen? Leider scheint sich diese Tendenz auch an den Unis und Hochschulen fortzusetzen: Der Trend zum formalen Lernen und Bulimi-Lernen. Haben wir den jungen Leuten die Lust am Lernen abgewöhnt? Oder gehen sie nur aus einer ganz satten Gesellschaft hervor, in der es nichts mehr zu entdecken gibt?

Mit diesen Fragen gehe ich in das nächste Jahr.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass den jetzigen Abiturient_innen meist nicht zugetraut wurde, das Abitur zu schaffen. Nur wenige hatten eine Gymnasialempfehlung nach der 4. Klasse. Insofern bleibt es ein Erfolg, dass die Stadtteilschule (Gesamtschule) die Bildungsabschlüsse vieler junger Menschen erweitert.

Projekte

Die Überzeugung, dass man in Projekten besser und nachhaltiger lernen kann, hat mich im letzten Schuljahr bei der Entwicklung der Projektkurse mitmachen lassen (die Projektkurse habe ich in einem vorherigen Beitrag beschrieben). Das Jahresprojekt hieß Expeditionen, ein Thema, so dachte ich, dass 7. Klässler doch begeistern muss. Wir haben viele Ausflüge gemacht, Schatzsuchen, Geocaching, Nahverkehrs-Rallyes, haben gezeltet, historische Expeditionen nacherzählt, Erfahrenes in Projektheften aufgeschrieben.

Hier hatte ich es mit 12jährigen zu tun. Aber auch hier scheint mir die größte Herausforderung zu sein, die jungen Menschen für irgendetwas zu begeistern. Ich habe immer wieder versucht herauszufinden, was die Schüler interessieren könnte; der Projektkurs gab mir ja viel mehr Freiheit, nicht dem Curriculum zu folgen. Außer „Schlafen“, „Zocken“, „nach Hause gehen“ kam nicht viel von den Schülern. Auf keinen Fall „etwas lesen“, schon gar nicht „schreiben“ oder „sich anstrengen“. Eine gemeinsame Projektplanung mit den Schülern habe ich nicht hinbekommen.

So sind die materiellen Ergebnisse des Projektkurses aus meiner Sicht auch eher enttäuschend. Aber vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch gewesen. Vielleicht sind die Umbauprozesse im Gehirn von Pubertierenden so stark, dass kaum Energie für Projekte übrig blieben. Vielleicht ist die Pubertät auch nicht das Alter, in dem man Begeisterung und Leidenschaft für Dinge aus der Schule entwickelt. Man will sich ja in erster Linie abgrenzen von den Autoritäten, und da ist es egal, was sie anbieten. Vielleicht sollte man doch auf den alten Pädagogik-Denker Hartmut von Hentig hören, der schon vor vielen Jahren empfohlen hat, die Unterrichtszeit in der Pubertät auf täglich zwei Stunden zu begrenzen. Die restliche Zeit sollte man mit verschiedenen Möglichkeiten der Selbsterfahrung füllen.

Erfahrungen machen ist auch Lernen, vielleicht nicht durch einen Test abfragbar, aber trotzdem wichtig. Die wichtigste Erfahrung scheint mir die zu sein, etwas zu können und etwas zu schaffen. Das findet in der Schule viel zu wenig statt. meine Projektkurs-Schüler hatten wenig gute Meinungen von sich selbst. Als ich ihnen am Schuljahresende jedem persönlich sagte, was ich an tollen Qualitäten gesehen habe im Laufe des Schuljahres, waren viele peinlich berührt, einige zogen meine Worte in das Lächerliche.

Was lerne ich daraus? Wertschätzung kommt an unseren Schule viel zu kurz. Erfahrungen machen sollte einen viel größeren Stellenwert bekommen gegenüber dem formalen Lernen.

Digitales Lernen…

… hat mich natürlich auch im letzten Schuljahr umgetrieben. Wir haben eine offizielle Schulentwicklungsgruppe zum Thema ins Leben gerufen und ein schulinternes Curriculum auf den Weg gebracht, das im kommenden Schuljahr erprobt wird.

Darüber hinaus war ich im Projekt „Digitale Unterrichtsbausteine“ der Stabsstelle Digitalisierung der Schulbehörde aktiv, in der Unterrichtssequenzen entwickelt und bereit gestellt werden. Es ist gut, dass das Thema jetzt auch in der Behörde oben auf der Agenda zu stehen scheint. Im September werden auf einer Plattform der TU Harburg die bis dahin erarbeiteten Bausteine der Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt. Bemerkenswert ist, dass alle Bausteine „oer“ sind, als offen nutzbar, veränderbar und neu editierbar sind.

Ich war auf den Kongressen „Edunautika“ an der Reformschule Winterhude, auf dem OER-Camp an der Medienschule und auf dem Kongress „Learning Cities“ der Körber-Stiftung aktiv. Auf diesen Veranstaltungen habe ich für mich folgende Tendenzen mitgenommen:

  • die Digitalisierung bietet die Chancen der Dezentralisierung von Lernen. Beeindruckend war das Beispiel aus Finnland, wo in Helsinki das Konzept „learning as a service“ die Lernorte über die Stadt verteilt. Gelernt wird nur noch ausnahmsweise in der Schule, sondern mehr in Bibliotheken, Hochschulen, Betrieben usw.
  • Vernetzung von unterschiedlichen Bildungsmöglichkeiten und Bildungsanbietern scheint mir wichtig. Hier wurde auf der learning cities-Konferenz der Begriff des Digitalen Ökosystems geprägt. Alle Elemente hängen miteinander systemisch zusammen und bedingen sich einander.
  • Es droht eine digitale Klassengesellschaft. Die Anzahl von Computern in vielen Haushalten geht zurück, seit dem man mit dem Handy scheinbar alles machen kann. Die Datenmenge bei Schülerhandys ist oft schnell erschöpft. Daher ist die Forderung nach bring your own device nicht so einfach, wie sie sich vielleicht anhört.

Ich gehe mit vielen Fragen ins Sabbatjahr und bin gespannt, wo ich in einem Jahr lande. Ob ich an meine alte Schule in Niendorf zurückgehe, mir eine neue Schule suche oder vielleicht ganz neue Herausforderungen suche. Ich bin gespannt.

Wer mich im Sabbatjahr begleiten will, kann dies unter https://geografunterwegs.wordpress.com tun.

Abiturklausuren bewertet – lohnt der Aufwand?

Das lange Sitzen hat ein Ende: Pro Klausur dauert es 2 Stunden, bis sie durchgelesen, gewichtet und bewertet ist. Und dann noch einmal die Zweitdurchsicht, 1 – 1,5 Stunden. Um ein objektives Urteil zu bekommen?

Die Angst vor den zentralen Abiaufgaben hat sich als als überflüssig erwiesen. Alle Aufgaben waren machbar. Die Befürchtung, man müssen jetzt die gesamte Unterrichtszeit auf die Abi-Themen verwenden und habe keine Zeit mehr für kreative Projekte, hat sich als falsch herausgestellt. Wir können in Zunkuft wieder gelassen die wichtigen Projekte angehen.

Die Bewertung der Aufgaben war aber nicht immer objektiv möglich. Die den zentral gestellten Aufgaben beigelegte Erwartungshorizonte erwiesen sich in den Fächern PGW und Geografie doch als ziemlich schwammig. Sie zählten zwar inhaltliche Aspekte auf, aber Hinweise wie sie zu gewichten und zu bewerten sind, fehlten. Da spielte das „hidden curriculum“, das im Kopf von jedem von uns verankert ist, doch eine wichtige Rolle. Natürlich oft auch im Sinne der Schüler, wenn man sie aus dem Unterricht kennt. Keiner möge von sich behaupten, von subjektiven Sichtweisen frei zu sein.

Wenn nun nur noch der Abischnitt im Blickfeld ist, was bleibt eigentlich vom Bildungswert des Abiturs? Ist dieser in einer einzigen Zahl mit einer Stelle hinter dem Komma zu beziffern? Diese Zahl, die Eintrittskarte für manche Studiengänge und Universitäten ist?

Ich glaube, sie wird an Bedeutung abnehmen. Wichtig ist, dass wir großen Teilen der Jugendlichen eine erweiterte Bildung ermöglichen, was immer sie daraus machen. Genau wie Unternehmen werden Universitäten mehr auf Eingangs- und Eignungstests setzen und weniger die Abinote entscheiden lassen. Dann zählt wieder mehr, was sich wirklich an Kompetenzen angeeignet und nicht nur was „gepaukt“ wurde. Auf Studiengänge bezogene Eignungstests hätten auch für die jungen Leute den Vorteil, nicht mehr viele Semester mit der Orientierung zu verbringen, was dann wirklich für sie der richtige Beruf ist.

Und jetzt wartet die Präsentationsprüfung auf uns…