Ferienbeginn: Zeit für eine Rückschau

Anfang Juli: Woche für Woche hat ein weiteres Bundesland Ferien. Ich war heute noch einmal in der Schule in der ersten Ferienwoche, um die letzten Bilder aufzuhängen, die letzten Zettel wegzuschmeißen und die letzten Dateien auf dem Schulserver zu archivieren. Für mich werden die beginnenden Ferien ganz große Ferien, denn ich setze ein Jahr als Sabbat aus, nach 28 Jahren Lehrer ein Jahr des Innehalten und Besinnens auf den nächsten Schritt.

Dieser Zeitpunkt ist eine gute Gelegenheit, Rückschau zu halten, etwas schlaglichtartig auf die Dinge schauen, die mich in Schule und Bildung bewegen. Vielleicht beschäftigt sich ja der eine oder andere Leser ebenfalls mit einer kleinen Bilanz.

Abitur

Ich habe jetzt im Juni den dritten Abiturjahrgang in Folge verabschiedet. In sechs Jahren habe ich in drei Profildurchgängen der Studienstufe 12/13 versucht, eine gute Mischung zwischen formalen Lernen nach Bildungsplan, Förderung der Selbstständigkeit der jungen Leute im Lernen und das Lernen in Projekten hinzubekommen. Für mich war die Kategorie Bildung immer das Wichtigste, eine Haltung, die es den jungen Leuten ermöglicht, an den gesellschaftlichen Diskursen teilzuhaben und die Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.

Mit diesem Ansatz bin ich allerdings nicht oft auf große Gegenliebe bei den Schüler_innen gestoßen. Ihr Abimotto „Nichts gerafft, und trotzdem geschafft“ hat mich doch nachdenklich gestimmt. Es machte den Eindruck, dass viele Schüler_innen mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst großen Ertrag herausbekommen wollten. Ein Spaß an der Auseinandersetzung mit Themen, eine Freude, eigenständig eine Sache zu erarbeiten, die Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen, waren selten zu spüren.

In den Projekten konnten die Schüler_innen eigene Schwerpunkte setzten. In den Projekten „Gentrifizierung in Hamburger Stadtteilen“, „Europa-Ausstellung“ und „Schülerkongress“ habe ich die Verantwortung für das Lernen möglichst weitgehend an die Schüler_innen abgegeben. Leider musste ich feststellen, dass Qualität erst mit einem notenbasierten Anforderungsprofil ins Spiel kam. Das hat mich nachdenklich gemacht: Haben wir unsere Schüler_innen in den 12-13 Jahren Schule so unselbstständig gehalten, dass sie kein eignes Gefühl für Qualität entwickeln konnten? Können sie nur auf äußere Anforderungen hin selbstständig lernen? Leider scheint sich diese Tendenz auch an den Unis und Hochschulen fortzusetzen: Der Trend zum formalen Lernen und Bulimi-Lernen. Haben wir den jungen Leuten die Lust am Lernen abgewöhnt? Oder gehen sie nur aus einer ganz satten Gesellschaft hervor, in der es nichts mehr zu entdecken gibt?

Mit diesen Fragen gehe ich in das nächste Jahr.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass den jetzigen Abiturient_innen meist nicht zugetraut wurde, das Abitur zu schaffen. Nur wenige hatten eine Gymnasialempfehlung nach der 4. Klasse. Insofern bleibt es ein Erfolg, dass die Stadtteilschule (Gesamtschule) die Bildungsabschlüsse vieler junger Menschen erweitert.

Projekte

Die Überzeugung, dass man in Projekten besser und nachhaltiger lernen kann, hat mich im letzten Schuljahr bei der Entwicklung der Projektkurse mitmachen lassen (die Projektkurse habe ich in einem vorherigen Beitrag beschrieben). Das Jahresprojekt hieß Expeditionen, ein Thema, so dachte ich, dass 7. Klässler doch begeistern muss. Wir haben viele Ausflüge gemacht, Schatzsuchen, Geocaching, Nahverkehrs-Rallyes, haben gezeltet, historische Expeditionen nacherzählt, Erfahrenes in Projektheften aufgeschrieben.

Hier hatte ich es mit 12jährigen zu tun. Aber auch hier scheint mir die größte Herausforderung zu sein, die jungen Menschen für irgendetwas zu begeistern. Ich habe immer wieder versucht herauszufinden, was die Schüler interessieren könnte; der Projektkurs gab mir ja viel mehr Freiheit, nicht dem Curriculum zu folgen. Außer „Schlafen“, „Zocken“, „nach Hause gehen“ kam nicht viel von den Schülern. Auf keinen Fall „etwas lesen“, schon gar nicht „schreiben“ oder „sich anstrengen“. Eine gemeinsame Projektplanung mit den Schülern habe ich nicht hinbekommen.

So sind die materiellen Ergebnisse des Projektkurses aus meiner Sicht auch eher enttäuschend. Aber vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch gewesen. Vielleicht sind die Umbauprozesse im Gehirn von Pubertierenden so stark, dass kaum Energie für Projekte übrig blieben. Vielleicht ist die Pubertät auch nicht das Alter, in dem man Begeisterung und Leidenschaft für Dinge aus der Schule entwickelt. Man will sich ja in erster Linie abgrenzen von den Autoritäten, und da ist es egal, was sie anbieten. Vielleicht sollte man doch auf den alten Pädagogik-Denker Hartmut von Hentig hören, der schon vor vielen Jahren empfohlen hat, die Unterrichtszeit in der Pubertät auf täglich zwei Stunden zu begrenzen. Die restliche Zeit sollte man mit verschiedenen Möglichkeiten der Selbsterfahrung füllen.

Erfahrungen machen ist auch Lernen, vielleicht nicht durch einen Test abfragbar, aber trotzdem wichtig. Die wichtigste Erfahrung scheint mir die zu sein, etwas zu können und etwas zu schaffen. Das findet in der Schule viel zu wenig statt. meine Projektkurs-Schüler hatten wenig gute Meinungen von sich selbst. Als ich ihnen am Schuljahresende jedem persönlich sagte, was ich an tollen Qualitäten gesehen habe im Laufe des Schuljahres, waren viele peinlich berührt, einige zogen meine Worte in das Lächerliche.

Was lerne ich daraus? Wertschätzung kommt an unseren Schule viel zu kurz. Erfahrungen machen sollte einen viel größeren Stellenwert bekommen gegenüber dem formalen Lernen.

Digitales Lernen…

… hat mich natürlich auch im letzten Schuljahr umgetrieben. Wir haben eine offizielle Schulentwicklungsgruppe zum Thema ins Leben gerufen und ein schulinternes Curriculum auf den Weg gebracht, das im kommenden Schuljahr erprobt wird.

Darüber hinaus war ich im Projekt „Digitale Unterrichtsbausteine“ der Stabsstelle Digitalisierung der Schulbehörde aktiv, in der Unterrichtssequenzen entwickelt und bereit gestellt werden. Es ist gut, dass das Thema jetzt auch in der Behörde oben auf der Agenda zu stehen scheint. Im September werden auf einer Plattform der TU Harburg die bis dahin erarbeiteten Bausteine der Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt. Bemerkenswert ist, dass alle Bausteine „oer“ sind, als offen nutzbar, veränderbar und neu editierbar sind.

Ich war auf den Kongressen „Edunautika“ an der Reformschule Winterhude, auf dem OER-Camp an der Medienschule und auf dem Kongress „Learning Cities“ der Körber-Stiftung aktiv. Auf diesen Veranstaltungen habe ich für mich folgende Tendenzen mitgenommen:

  • die Digitalisierung bietet die Chancen der Dezentralisierung von Lernen. Beeindruckend war das Beispiel aus Finnland, wo in Helsinki das Konzept „learning as a service“ die Lernorte über die Stadt verteilt. Gelernt wird nur noch ausnahmsweise in der Schule, sondern mehr in Bibliotheken, Hochschulen, Betrieben usw.
  • Vernetzung von unterschiedlichen Bildungsmöglichkeiten und Bildungsanbietern scheint mir wichtig. Hier wurde auf der learning cities-Konferenz der Begriff des Digitalen Ökosystems geprägt. Alle Elemente hängen miteinander systemisch zusammen und bedingen sich einander.
  • Es droht eine digitale Klassengesellschaft. Die Anzahl von Computern in vielen Haushalten geht zurück, seit dem man mit dem Handy scheinbar alles machen kann. Die Datenmenge bei Schülerhandys ist oft schnell erschöpft. Daher ist die Forderung nach bring your own device nicht so einfach, wie sie sich vielleicht anhört.

Ich gehe mit vielen Fragen ins Sabbatjahr und bin gespannt, wo ich in einem Jahr lande. Ob ich an meine alte Schule in Niendorf zurückgehe, mir eine neue Schule suche oder vielleicht ganz neue Herausforderungen suche. Ich bin gespannt.

Wer mich im Sabbatjahr begleiten will, kann dies unter https://geografunterwegs.wordpress.com tun.

Lernprodukte mit OER

Referate, Hausarbeiten, Plakate, Präsentationen – Alltag in den Schulen seit Jahren. Die Plakate verstauben auf den Klassenschränken und werden am Schuljahresende weggeschmissen, Referate gehalten und nach Erhalt der Zensur vergessen, Hausarbeiten mit Glück von den Lehrerinnen und Lehrern gelesen, mit dem Ziel, eine Note zu vergeben. Mit Glück kommt ein Plakat mal eine eine Klassen- oder Schulwand.

Dabei haben viele Produkte von Schülern es verdient, mehr gewertschätzt zu werden als nur durch eine Note. Das Internet bietet nun viele Möglichkeiten, Arbeiten von Schülern zu veröffentlichen und mehr Menschen zu präsentieren. „Lernen sichtbar machen“, wie John Hattie nach seiner Auswertung von tausenden von Studien fordert, könnte so verwirklicht werden. Der einfachste Schritt ist natürlich eine Veröffentlichung auf der Schulhomepage. Ich habe für meine Klasse ein WordPress-Blog aufgelegt, in dem wir Lernprodukte veröffentlichen. Dieser ist dann mit der Schulhomepage verlinkt.

Aber bei jeder Veröffentlichung im Internet kommt man mit dem Copyright in Berührung. Das in der Schule übliche kopieren und neu zusammensetzen von Lernmaterialien, von Lehrerinnen und Lehrern bei der Gestaltung von Arbeitsblättern täglich praktiziert, geht bei einer Veröffentlichung im Internet natürlich nicht mehr. Veröffentlichen macht es notwendig, sich über das Urheberrecht mit den Schülerinnen und Schülern genau auseinanderzusetzen. Das beliebte Copy and Paste geht dann nicht mehr.

Ich halte die Notwendigkeit, nur eigene Produkte zu verarbeiten, für einen wichtigen Lernschritt. Die Umwandlung von Gelesenem in ein eigenes Produkt ermöglicht ein „vertieftes Verarbeiten“, das ein nachhaltiges Lernen, das über den nächsten Test-Termin hinausgeht, möglich. Trotzdem gibt es Inhalte, besonders Fotos, Grafiken und Videos, die sinnvoll in ein eigenes Lernprodukt eingebunden werden sollte.

Hier kann man dann nur freie Materialien nehmen, die zur Weiterverwendung lizensiert sind. Hier setzt das Konzept Open Education Ressorces an. Freie Bildungsmaterialien sind ausdrücklich für die Weiterverwendung freigegeben. Sie können bei Namensnennung und Quellenangabe für eigene Lernmaterialien verwendet werden.

Das Herstellen von eigenen Lernmaterialien und deren Veröffentlichung kann ein wichtiger Schritt für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen sein und eine stärkere Identifikation der Lernenden mit ihrer Arbeit ermöglichen.

Ich werde an dieser Stelle weiter über praktische Beispiele von Lernprodukten berichten.

 

OER-Konferenz 14: (Digitales) Lernen in der Schule mit OER

Am 13.09.2014 habe ich auf der OER-Konferenz in Berlin, die von wikimedia organisiert wurde, einen kleinen Vortrag zu meinen Vorstellungen zu den Möglichkeiten gehalten, freie Bildungsmedien in der Schule zu nutzen. Ich lade hier die Präsentation und den Text des Vortrages zum Nachlesen hoch. Im Verlauf der Konferenz und in den vielfältigen Workshops und Sessions ist mir aus Sicht eines Lehrenden deutlich geworden, dass freie Bildungsmaterialien die klassischen Schulbücher nicht ersetzen, aber gut ergänzen können und zu einer Erweiterung der Möglichkeiten des Lernens darstellen. Ich habe die These formuliert, dass freie Bildungsmaterialien nicht „per se“ gut sind, sondern erst innerhalb eines didaktischen Konzepts wirksam sind. Dazu gehört v.a. die Möglichkeit, Lernmaterialien durch Lernende zu erstellen und wieder zu veröffentlichen, um Lernen sichtbar zu machen. Das verlangt wiederum, dass wir in der Schule auch eine „Freude am Unperfekten“ entwickeln, was dann allerdings auch ein Überdenken der „Fehlerkultur“ an der Schule nötig macht. Dazu im Vortragstext mehr. OER-Konferenz Hillebrecht OER Vortrag

OER in der Schule?

Brauchen wir Open Education Ressources an der Schule?

Warten Lehrer und Schüler eigentlich auf OER?

These: OER sind nur sinnvoll, wenn sie eine positive Weiterentwicklung der Lernkultur ermöglichen.

Können freie Internet-Inhalte die subjektive Konstruktion von Wissen bei den einzelnen SchülerInnen fördern?
Wenn freie Bildungsinhalte zur Verfügung stehen, können Lernende diese direkt für sich benutze und weiter verarbeiten. Sie können sie in eigene Lerntagebücher, Heften, wikis oder Portfolios einfügen, ohne eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Ich glaube, dass die subjektive Re-Konstruktion von Wissen ein wirksames Lernen ermöglicht. Dabei spielt das eigene Bearbeiten eine große Rolle, und nicht nur das „Abschreiben“.

Können freie Internet-Inhalte selbst gesteuerte, autonome Lernformen fördern?
Freie Bildungsinhalte sollten nicht nur einen Informationsinhalt haben, sondern auch methodische Vorschläge für die Bearbeitung enthalten. Es wäre ein echter Fortschritt in der Autonomie des Lernens, wenn die Lernenden unabhängiger, freier, selbstständiger Agieren können. Ich glaube, dass die SchülerInnen in der Schule heute noch in extremer Unselbstständigkeit gehalten werden (Hausaufgaben werden „aufgegeben“) und sie darauf oft mit Verweigerung reagieren (eben keine Hausaufgaben machen, oder sie aus Angst vor Repression, dem Strich im roten Lehrerbüchlein, widerwillig machen). Offene Bildungsmaterialien sollten neben Inhalten auch Bearbeitungsmöglichkeiten anbieten, die die Lernenden selbst aussuchen können.

Ermöglichen freie Inhalte kooperatives Lernen?
Gemeinsam neue Produkte herstellen ist ein wichtiger Lernprozess. Im Team ein Projekt arbeitsteilig bearbeiten und ein gemeinsames Ergebnis produzieren scheint mir für die Vorbereitung auf das Leben wichtiger zu sein als individuelles Pauken. Die Dominanz des individuellen Lernens hat ja seinen Grund eher in der besseren Prüfbarkeit in der Schule.
Wenn Inhalte frei zu Verfügung stehen für die Weiterverarbeitung, bieten sie viele Möglichkeiten kooperativen Lernens. Ich glaube, dass hier freie Bildungsmaterialien ihre Stärke zeigen können.

Bieten freie Bildungsmaterialien Übungsmöglichkeiten, die die Lernenden selbstständig nutzen können?
Das wäre zu hoffen. Gerade mit der Perspektive des „lebenslangen Lernens“ bekommt der Aspekt selbstständige Übungsmöglichkeiten ein neues Gewicht. Hier wurde in der Session besonders auf die Kölner Geschichtsplattform „segu Geschichte“ hingewiesen. Es wäre erfreulich, wenn weitere Übungsmöglichkeiten

Geben freie Bildungsmaterialien die Chance, das Prüfungssystem zu verbessern? Ist eine Prüfungssituation ohne Nutzung des Internets nicht gerade kein „Lernen für das Leben“?
Das ist wohl noch sehr unklar. In der Schule werden ja Prüfungen für die Lernrückmeldung und für die Selektion benutzt, zwei sehr unterschiedliche Zielsetzungen. Lernrückmeldungen im Internet sind meines Wissens noch ein Neuland und beschränken sich auf Anklicklisten. Hier wäre sicher noch Arbeit zu leisten.

Können freie Bildungsmaterialien die Qualität des Lernens im Vergleich zu der Arbeit mit Schulbüchern verbessern?
Freie Bildungsmaterialen bieten nicht automatisch die Garantie für eine verbesserte Qualität. Auf der Session im educamp Berlin 13 wurden abschreckende Beispiele aus Südkorea berichtet. Die Teilnehmenden an der Session schätzten eher ein Nebeneinander von Schulbuch und freien Ressourcen aus dem Internet als Szenario für die nahe Zukunft als wahrscheinlich ein. Im Moment ist wohl die Stadt Köln am weitesten, Möglichkeiten für OER an den Schulen bereit zu stellen.

Die Idee, ein Qualitätslabel für OER zu vergeben, wurde auf der Session als eher unrealistisch eingeschätzt. Wenn etwas permanent veränderbar ist, kann man dafür kein „festes“ Label vergeben. Für die Beurteilung der Qualität muss die professionelle Beurteilungskompetenz des Lehrenden gerade stehen. Es wurde deutlich gemacht, dass für von LehrerInnen erstellte Materialien keine Genehmigung von der Schulaufsicht nötig ist, solange sie nicht in Buchform veröffentlicht werden.

Die Beurteilung der Qualität von Inhalten, Aufgaben und Lernarrangements ist ja die tägliche Aufgabe von Lehrenden, auch in der analogen Buchwelt. Man muss dauernd bewerten, welche Materialien man auswählt, auch aus Büchern. Das wird sich in der Internetwelt nicht ändern. Der Vorteil offener Bildungsmaterialien besteht darin, dass man vorhandenes verändern, ergänzen, gestalten kann.

Wird Selbstwirksamkeit für die Schüler mehr spürbar durch freie Bildungsmaterialien?
Die Möglichkeit, Bildungsinhalte aus dem Internet zu nehmen und unter einer eigenen Fragestellung neu zu verarbeiten, um damit ein neues, eigenes Produkt (Portfolio, Themenarbeit, Präsentation usw.) zu gestalten, ist sicher eines der großen Chancen von offenen Bildungsressourcen. Wenn es beim Lernen nicht nur um das „Nachvollziehen“ und „Stofflernen“ geht, kann eine Selbstwirksamkeit beim Lernen durch OER sicher erfolgreich eingesetzt werden. Die Möglichkeiten, eigene neue Produkte herzustellen, ist dann sicher grenzenlos und bieten viele Möglichkeiten der subjektiven Konstruktion von Wissen und Bildung.

Lernkultur?
Wie alle Kulturen, der Art, wie Menschen zusammen leben und arbeiten, wird sich die Lernkultur immer wandeln und weiter entwickeln. Sie ist auch immer ein Abbild der Gesellschaft, in der wir leben. In den letzten Jahren haben besonders die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, die Erkenntnisse der Hirnforschung und auch konstruktivistische Vorstellungen die Lernkultur beeinflusst. Die Entwicklung der Lernkultur ist ein dauernder Wandlungsprozess (the road of learning is permanent under construction, Andreas Müller). Ich finde es erfreulich, dass dieser Prozess nicht mehr so stark unter ideologischen Gesichtspunkten diskutiert wird wie in den neunziger Jahren, als sich die Anhänger des gegliederten und des Gesamtschulsystems unversöhnlich gegenüber standen. Es ist erfrischend, dass es jetzt um die Möglichkeiten, und weniger um die richtigen Methoden geht.

OER – Open Education Ressources: Haben wir in der Schule darauf gewartet?

OER – Ein neues faszinierendes Kürzel für gemeinschaftlich erstellte, offene Lerninhalte. Kein Herumschlagen mehr mit Urheberrechtsverletzungen, freie Weiterverarbeitung in Arbeitsblättern und Lernplattformen, ein Wikipedia für die Schule. Haben wir in der Schule darauf gewartet?

Das digitale Lernen bietet viele neue Möglichkeiten und Chancen. Schulbücher scheinen bei den SchülerInnen „out“ zu sein, uncool und fremdgesteuert („Hausaufgabe ist das Rechnen der Blöcke 4a-f auf Seite 164 im Mathebuch“). Die OER Diskussion umfasst den Diskurs darüber, wie wir mit Inhalten in der digitalen Lernwelt umgehen. Und dieser Diskurs kann spannend sein. Trotzdem ist zu beobachten, dass die Diskussion über OER haußtsächlich ausserhalb der Schule geführt wird.

Trotzdem frage ich mich, ob das das zentrale Problem in der Schule ist, das Problem von LehrerInnen und SchülerInnen. Es mangelt den Schulen ja nicht an Inhalten. Ich sehe das Problem eher darin, dass die Bedeutung von Inhalten in der Schule viel zu schwer wiegt und der Prozess, das „WIE“ des Lernens, zu sehr im Hintergrund liegt. Gymnasiasten werden durch das G8 gejagt, Inhalte und „Stoff“ muss „durchgenommen“ werden, Lehrpläne abgearbeitet, und in der Oberstufe wundert man sich dann, was die SchülerInnen alles nicht können.

Kann dieses Problem durch OER gelöst werden?

OER hat nur eine Chance, wenn es das „WIE“ des Lernens, die Lernkultur, mit verhandelt. Es kann bei OER nicht nur um die digitalte Bereitstellung von Inhalten gehen, sondern OER muss auch eine Weiterentwicklung der Lernkultur ermöglichen. Diese Lernkultur müsste folgende Eckpunkte haben:

* Potentialentwicklung: Von dem Können der Lernenden ausgehend und bestärkend
* Kooperativ und kollaborativ: Lernen ist eine soziale Angelegenheit und in der Gemeinschaft nachhaltiger
* Autonome Lernformen: Eine Lernkultur unterstützt die Bedürfnisse der Lernenden nach Autonomie
* Produktorientiert: Durch das Lernen und den Lernprozess entstehen schöne Produkte
* Erfahrungen: Lernen ist mehr als nur Wissen anhäufen. Erfahrungen machen ist ein wichter Faktor für erfolgreiches Lernen
* Rückmeldung und Begleitung: Lernen braucht Begleitung durch Experten (in der Schule die LehrerInnen). Die Rückmeldung zum Lernprozess darf sich nicht nur auf das Wissen (Noten) beziehen. Sie soll eine Beschämung der Lernenden vermeiden.

Wenn OER in der Schule eine Chance haben soll, dann müssen die LehrerInnen mit ins Boot geholt werden. Es muss deutlich werden, wie OER die Gestaltung von Lernsituationen von LehrerInnen erleichtert. Sonst sind die anderen Aufgaben in der Schule, die in den letzten Jahren dort hineingetragen wurden, wie

* Inklusion
* Übernahme von Erziehungsaufgaben von der Familie
* Ganztagsschule
* hoher Leistungsdruck auf SchülerInnen

nicht zu bewältigen.