Agiles Arbeiten und Sinn im Lernen

Viele Schüler*innen sehen die Schule nur noch als Prüfungsmaschine. Sie hechten von Klausur zu Test, das dazwischen wird als notwendiges Übel gesehen. Einen Sinn können sie in dieser Konstruktion oft nicht erkennen.

Dabei wäre Sinn etwas, was wir in der Schule dringend gebrauchen können. Ein Baustein dazu, wie wir wieder Sinn in das Lernen in der Schule bringen können, ist Agiles Lernen. Das Grundkonzept habe ich schon einmal in einem vorherigen Artikel beschrieben (klick hier) und es gibt viele tolle Blogartikel zum Agilen Lernen.

Ich möchte hier meine Erfahrungen teilen, wie man mit dem Konzept des Agilen Lernens ein Angebot für einen Sinn im schulischen Lernen machen kann. Es kann nur ein Angebot sein, weil man „Sinn im Tun“ nur selber finden kann, er ist nicht durch einen Lehrplan zu verordnen. Aber als Lehrender kann ich einen Raum schaffen, dass die Schüler*innen einen Anknüpfungspunkt zu Ihren eigenen Ideen und Emotionen finden und damit ihr schulisches Lernen etwas mehr mit ihrem persönlichen Leben zu überlappen.

Erster Baustein: Im Agilen Lernen werden Produkte hergestellt, die etwas nützen. Der einfachste Nutzen kann es sein, eine Aufarbeitung der Lerngegenstände herzustellen, die bei dem nächsten Test oder Klausur helfen kann, die Aufgaben erfolgreich zu lösen. Das setzt natürlich eine Prüfungskultur voraus, in der die Schüler*innen ihre Aufzeichnungen bei den Prüfungen nutzen dürfen.

Zweiter Baustein: Agiles Lernen ist nicht linear, sondern asynchron. Es wird nicht stur ein Lernplan (Chapter 2-7) abgearbeitet, sondern die Lernenden entscheiden im Team ihre Arbeitsschritte. Eben agil, an die gerade vorhandenen Notwendigkeiten angelehnt. Wenn Schüler*innen ihre Lernwege selbst bestimmen können, trägt es zur Sinnfindung im Lernen bei. Das muss nicht heißen, dass es keine linearen Übungsphasen geben kann, sie sind aber eher ein Exkurs.

Dritter Baustein: Lernergebnisse haben einen Wert. Sie werden nicht nur zur Notenermittlung erstellt, sondern haben einen realen Wert: Sie werden ausgestellt, anderen Schüler*innen zur Verfügung gestellt, veröffentlicht usw.

Vierter Baustein: Lernen findet nicht nach einem vorgegebenen Plan statt, sondern den Plan machen die Schülerinnen in ihren Team selber. Die Schülerinnen-Team stellen ihren Backlog zusammen, erstellen Tasks und teilen die Aufgaben in ihrer Gruppe auf. Flankierend gebe ich als Lehrender inhaltliche Inputs oder Strukturierungshilfen für die Teamarbeit, z.B. in Form einer Fortschrittsliste.

Ein typischer Workflow im Agilen Lernen sieht folgendermaßen aus:

Ich erstelle einen Arbeitsplan, in dem ich den Rahmen des Lernprojekts abstecke. Darin enthalten ist das inhaltliche Thema (worum geht es?), Aufgaben und Arbeitsvorschläge (hier achte ich darauf, dass alle Anforderungsbereiche abgedeckt sind), freie Aufgaben sowie Materialien und Links.

Das zu erstellende Produkt, das das Team am Ende abgeben muss, lege ich fest oder bespreche mit der Klasse das Produkt.

Zuerst erstellen die Teams einen Backlog, sie sammeln alle Teilaufgaben auf Post-Its und kleben sie auf ein Blatt. Das kann auch die Form eines Brainstormings haben. Die Schüler*innen sammeln erste Ideen für ihr Team-Produkt (z.B. ein Dossier, ein Portfolio, eine Präsentation, einen Film usw.).

Dann geht es in den ersten Sprint: Aus dem Backlog werden die Aufgaben/Post-Its, die in dem ersten Zeitabschnitt (z.B. eine Woche) erledigt werden sollen, im Kanban-Board nach „To-Do“ verschoben. Dann wird genau geschaut, ob die Aufgaben auf den Klebezetteln auch wirklich in einem Sprint zu schaffen sind oder zu umfangreich sind (was bei Schüler*innen schnell passiert). Dann muss die Aufgabe auf mehrere Post-Its verteilt werden.

Nach diesem Schritt werden die Aufgaben im Team verteilt: Sprint-Planning. Die Tasks werden in die Spalte „Doing“ verschoben. Und dann geht die Arbeit los.

An einem festgelegten Zeitpunkt wird die Arbeit für ein Stand-up-Meeting unterbrochen: Für ca. 5 Minuten trifft sich das Team vor dem Kanban-Board und bespricht den Arbeitsstand. Dann geht die Arbeit weiter.

Am Ende des Sprints muss Zeit eingeplant werden, den Zwischen-Arbeitsstand, den Prototypen des Produkts, beim Product Owner (meist die Lehrperson) abzugeben (Sprint Review). Die Lehrenden können dann bis zur nächsten Woche (nächster Sprint) sich die Zwischenergebnisse anschauen und ein Feedback geben.

Zum Schluss trifft sich das Team und macht eine Retrospektive und schreibt stichwortartig auf, wie die Teamarbeit im Sprint gelaufen ist und was im nächsten Sprint verbessert werden soll.

In der nächsten Woche beginnt der Kreislauf von neuem. Man verabredet vorher, wieviele Sprints vorgesehen sind und wie perfekt das Produkt am Ende sein soll.

Es ist völlig egal, ob man diesen Prozess analog oder digital durchführt. Analog arbeite ich mit Flipchartpapier und gelben Post-Its, jedes Team hat ein Kanban-Board. In letzter Zeit arbeiten die Schüler*innen mehr digital, dann erstelle ich ihnen auf Taskcards ein Board, das sie sich selber gestalten.

Am besten man fängt einfach mal an und geht mit den Schülerinnen zusammen auf Entdeckungsreise in der Welt des Agilen Lernens. Die Schülerinnen werden sich freuen, selbstbestimmter Teil des Projekts zu sein.

Ein ganzes Kollegium erstellt Lernumgebungen in Moodle

Der Dienstag nach dem Reformationstag in Hamburg. An der Reformschule Winterhude trifft sich das ganze Kollegium in der Aula, um gemeinsam Unterrichtsvorbereitung zu machen. Der Rahmen ist eine Ganztagskonferenz.

Dabei ist diese Unterrichtsvorbereitung etwas besonderes: Das Kollegium hat sich verabredet, Lernumgebungen in dem Lern-Management-System (LMS) Moodle zu erstellen. Dabei ist der Begriff „Lernumgebung“ neu. Der Begriff ist aus der Diskussion um Digitales Lernen entstanden und meint die digitale Bereitstellung aller Ressourcen für die Bearbeitung eines Themas oder einer Lerneinheit.

In der klassischen Schule war der Lehrende der Hüter der Lerneinheit, er/sie führte die Schüler*innen durch eine meist lineare Vergabe von Aufgaben durch die Einheit. An der Winterhuder Reformschule (WiR) wird schon seit Jahrzehnten in sog. Bausteinen gelernt, mit denen sich die Lernenden im eigenen Tempo und Auswahl der Aufgaben durch die Lerneinheit bewegen konnten. Meist waren diese Bausteine eine zusammengeheftete Sammlung von Arbeitsblättern, die nacheinander abgearbeitet wurden.

Die Digitalisierung brachte ganz neue Möglichkeiten. Gepusht durch die Pandemie, hat sich die WiR konsequent auf das Lernen mit digitalen Ressourcen umgestellt. 90% aller Schülerinnen und alle KollegInnen haben iPads, das Schul-WLAN ist für alle zugänglich. Alle in der Schule haben eine eigene Email-Adresse, für die Kommunikation nutzen wir iServ. Es fehlte noch eine passende digitale Lernplattform, das in der Anfangszeit der Corona-Pandemie genutzte Microsoft-Teams wurde vom Datenschutzbeauftragten verboten.

Vor einem Jahr einigte sich die Schulgemeinschaft, die Open-Source-Software Moodle als Lernplattform zu nutzen. Ein Jahr verging mit Skepsis, vorsichtigen Herantasten, Begeisterung bei einigen Kolleg*innen und auch grundsätzliche Debatten, ob wir nicht wichtigere Probleme lösen müssten. Jetzt nach dem Reformationstag war die Zeit reif, sich gemeinsam an die Arbeit zu machen. Die Aula wurde neben dem Plenum zu einem Co-Working-Space. Das Support-Team lief in gelben Westen umher, um schnell technische Tipps zu geben.

Die Vorerfahrungen mit Lernplattformen und digitalen Tools ist im Kollegium (wie wahrscheinlich in allen Schulen) sehr unterschiedlich. Trotzdem ist es an diesem Tag gelungen, ein Gefühl des „wir arbeiten alle zusammen an Lernumgebungen“ für unsere Schüler*innen. Schon die Vorbereitung und die Konferenzplanung lief über Moodle. In Austausch- und Wertschätzungsrunden wurde sich gegenseitig über das Geschaffte berichtet. Für einige Kolleg*innen war es der erste Kontakt mit Moodle, andere haben ihre schon vorhandenen Lernumgebungen verfeinert und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten weiter ausgelotet.

In der Unterrichtspraxis läuft natürlich nicht gleich alles rund: Aber ist aus meiner Sicht auch ein wichtiges Signal an die Schülerinnen, dass auch die Lehrerinnen Lerner sind, die sich in die neuen Möglichkeiten digitaler Ressourcen einarbeiten.

In den Lernumgebungen im Moodle werden zwar alle Lernaufgaben und Aktivitäten bereitgestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lernenden nur alleine vor dem Gerät sitzen. Die Organisation der Beziehungen und Beratungen im Lernprozess ist jetzt die zentrale Aufgabe der Lehrer*innen geworden.

So hat uns der Reformationstag auch einen weiteren Schritt in der reformpädagogischen Entwicklung an der Reformschule Winterhude gebracht. Es werden noch viele weitere notwendig sein. Wir sind guten Mutes.

Design Thinking in den Einstiegsprojekten an der WiR

Morgens um 9:00 Uhr, Hamburg-Winterhude, Reformschule. Sprint-Planning für 36 Schülerinnen im Einstiegsprojekt „Global|Lokal“. Acht Teams aus Schülerinnen entwickeln Prototypen für eine Verbesserung der Welt.

Auf dem großen Bildschirm im Raum steht das TaskCard-Board mit dem Kanban-Board des Projekts. Die Karten mit den Aufgaben (Tasks) werden von der Spalte „To do“ zu „Doing“ geschoben. Die Aufgaben des Projekts werden für den Tag festgelegt. Mikis und Norbert ordnen den Tag in die Phasen des „Design Thinking“ – Prozess ein. Die Teamspalten im Board zeigen die Karten mit den Ergebnissen des „Sprint-Reviews“ des Vortags an. Es werden die Ergebnisse des Vortags diskutiert, auch was noch fehlt.

Dann werden die Teams in ihr teaminternen Sprint-Planning entlassen. Sie beugen sich auf ihren iPads über ihr Board.

Wie kann man junge Menschen zu mehr Naturschutz animieren?
Wie kann man nachhaltige Produkte auch Menschen mit wenig Geld zugänglich machen?
Wie kann man den Kinderschutz verbessern?
Wie kann man eine schulinterne Plattform für Second-Hand-Kleidung aufbauen?
Wie kann man die Situation für systemrelevante Berufe verbessern?
Wie kann man einen kostengünstigen Wasserfilter bauen?
Wie kann man Klischees über die Gleichberechtigung begegnen?
Wie kann eine Stadt aussehen, die echte Gleichberechtigung ermöglicht?

Wir sind im Einstiegsprojekt „GlobalLokal“, das mit Hilfe der „Design-Thinking-Methode“ Projekte zur Verbesserung der Welt entwerfen will. An der Reformschule Winterhude in Hamburg arbeiten alle Oberstufenschüler*innen die ersten drei Wochen des Schuljahrs an besonderen Projekten außerhalb des normalen Klassenverbands.

SCRUM-Planspiel „Eine Stadt planen“

GlobalLokal führt die Schüler*innen durch den Design-Thinking-Prozess und nutzt die agilen Methoden des Scrum-Rahmenwerks. Wir orientieren uns an den Materialien aus Design Thinking in der Schule und dem Digital Innovation Handbook. Nachdem in der ersten Woche die jungen Menschen noch durch den Prozess von Projekt-Backlock, Sprint-Planning, Stand-Up-Meetings, Sprint Reviews und Retrospektiven geleitet wurden, haben sie mittlerweile eigene Teams gegründet und führen den interativen Prozess zu ihren Projekten selbstständig durch. Alle Teams haben ein eigenes Kanban-Board auf Taskcards.de erhalten.

Zum Üben haben wir ein kleines Planspiel zum agilen Planen einer Stadt durchgeführt. Dieses habe ich in einem älteren Beitrag schon einmal vorgestellt.

Der Design-Thinking Prozess

Einen weiteren Input zum Thema Projektentwicklung gab Chris von GoBanyo aus Hamburg, in dem er von der Entwicklung des Duschbus für Obdachlose berichtete (https://gobanyo.org).

Einen guten Überblick über das Arbeiten mit agilen Tools gibt es in den Materialien einer Fortbildung von Uta Eichborn und Petra Walenciak bei Zeit für Lehrer (https://www.zeitfuerdieschule.de/veranstaltungen/zeit-fuer-lehrer/), die in einer Aufzeichnung nachzusehen ist.

An der Winterhuder Reformschule gibt es gerade eine große Bereitschaft, das Lernen mit agilen Methoden in den Fokus zu stellen. Wir werden in einzelnen Fächern agil arbeiten und das Konzept des SCRUM-Rahmenwerks auf den Unterricht anwenden.

Dazu werde ich an dieser Stelle weiter berichten.

Material:
Hopp-Foundation, Design-Thinking in der Schule, freier Download
Dark Horse Innovation: Digital Innovation Playbook, Murrmann, ohne Ort

Frühjahrsferien – Korrekturzeit: Business as usual? oder

Ohne eine Veränderung der Prüfungskultur keine Schulentwicklung

Ich sitze vor Bearbeitung zum Thema Sozialstaat im Fach PGW in der 13. Profil-Klasse „kulturell“ an der Winterhuder Reformschule in Hamburg. Die Bearbeitung ist eine Klausurersatzleistung, d.h. eine Prüfung, die nicht nach den Richtlinien der Ausbildungs- und Prüfungsordnung abläuft, sondern flexibler auf die Lernbedürfnisse der Lernenden eingeht. Prüfungen wie Klausuren sollen ja den Lernenden Gelegenheit geben, zu zeigen, was sie gelernt haben und was sie können. Klausuren in ihrer sehr strengen Form (schriftlich, jeder hat die gleiche Aufgabe, alle schreiben gleichzeitig, alle haben das gleiche Zeitbudget, keine Hilfsmittel, kein Internet) entsprechen nicht mehr dem Verständnis von Lernen, das wir heute haben.

An der Winterhuder Reformschule haben wir uns an der Oberstufen darauf verständigt, neben den klassischen Klausur-Prüfungen auch neue Formen der Lernüberprüfung auszuprobieren. Ich sitze deshalb jetzt vor den Portfolios eines Formative Assessments.

Ein Formative Assessment ist ein lernbegleitendes und dialogisches Format, um Lernfortschritte zu zeigen und zu bewerten (vgl. Nölte, (1). Die Lernenden bekommen eine komplexe Aufgabe, die in einem bestimmten Zeitraum (z.B. 2 Wochen) zu bearbeiten ist. Während des Bearbeitungszeitraums steht die Lehrperson für Beratung und Unterstützung zur Verfügung. Die Aufgabenstellung wird im Dialog ständig präzisiert. Das Besondere am Formative Assessment ist die Selbsteinschätzung der Lernenden. Sie bestimmen eine Zielnote, die sie erreichen wollen. Die Lernenden stellen in der Selbsteinschätzung dar, wie und warum sie die Anforderungen durch ihre Bearbeitung erreicht haben. Die Aufgabenstellung findet sich hier:

Die Bewertungskriterien sind von Anfang an bekannt. Sie werden während des Bearbeitungsprozess präzisiert und diskutiert, damit Missverständnisse ausgeräumt werden. Die Bewertungskriterien und weitere Hinweise habe ich auf einem Google Docs zur Verfügung gestellt. Ich habe durch die dialogische Begleitung festgestellt, dass bei den Lernenden sehr unterschiedliche Vorstellungen von den Bearbeitungsformen bestanden. Das wäre bei einer normalen Klausur gar nicht aufgefallen.

Die SchülerInnen geben ihr Portfolio mit einer Selbsteinschätzung und einer Zielnote ab. Das ist kein Feedback, sondern eine Erläuterung, woran man erkennen kann, dass die Bearbeitung die Bewertungskriterien erfüllt. Dabei sind besonders Hinweise auf spezielle, auch kreative Bearbeitungen besonders hilfreich. Auch haben SchülerInnen manchmal auf einzelne Aufgabenteile besonderen Schwerpunkt gelegt und andere einfacher bearbeitet: Das ist alles möglich. Mir als Bewertender helfen solche Hinweise, damit die die Schüler*innen-Leistung nicht nur durch meine eigenen Brille sehe.

Ich hatte damit gerechnet, dass die Zielnoten schon recht realistisch sind. In den meisten Fällen konnte ich dem Notenvorschlag folgen, manchmal habe ich noch 1-2 Punkte drauflegen können. Nur in ganz wenigen Fällen musste ich abwerten. Das zeigt, dass die Lernenden schon ein ganz gutes Gefühl für ihre Leistung haben.
Sie haben sich aber auch sehr ins Zeug gelegt. Die Bearbeitungen waren durchweg umfangreicher als erwartet, der Arbeitsaufwand deutlich größer als die angepeilten 8-10 Zeitstunden. Eigentlich hatte ich die 2 x 6 Zeitstunden aus dem Unterricht plus 2 Zeitstunden „Hausarbeit“ eingeplant. Die Schüler_innen haben offensichtlich deutlich mehr Zeit investiert. Hier muss ich mir noch Systeme überlegen, wie der Zeitaufwand eingegrenzt werden kann. Viele Schüler_innen haben sich vor den Frühjahrsferien krank gemeldet, um in der Zeit die Aufgaben fertig zu machen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Das ist noch immer der Nachteil der Klausurersatzleistungen: Sie arten in dem Zeitaufwand meist sehr aus. Vielleicht hat jemand eine Lösung als Vorschlag.

Die Hoffnung, dass sich der Zeitaufwand für die Bewertung gegenüber Klausuren reduziert, hat sich leider auch nicht bewahrheitet. Die Portfolios waren einfach zu umfangreich, die meisten haben 10 – 20 Seiten gefüllt. Die Ergebnisse waren durchweg erfreulich: Die Durchschnittsnote einer Klasse liegt bei 12 Punkten! Ich kann nach den Portfolios sagen, dass die Schüler*innen die eigenständige Bearbeitung eines Themas (Sozialstaat) mit unterschiedlichen Bearbeitungsformaten beherrschen. Damit ist meine Mission erfüllt. Für die Lernenden stellt sich das gute Gefühl ein, etwas gelernt zu haben, einen Schritt vorangekommen zu sein. Dieses Gefühl halte ich für sehr lernwirksam, das hätte eine klassische Klausur nie erreicht.

Die Diskussion um alternative Prüfungsformate wird aktuell bleiben, auch hier in meinem Blog. Ich werden weiter versuchen, an unserer Oberstufe kreative Formate zu finden und eine Ersatz für die Klausurformate des letzten Jahrhunderts zu finden. Das bleibt immer ein Drahtseilakt, weil die Abiturprüfungen nach wie vor sehr konservativ sind. Nach den Empfehlungen der KMK zur Bildung in der digitalen Welt sollen sich Aufgabenformate deutlich wandeln. Dazu empfehle ich den Beitrag von Christian Albrecht (2)

(1) https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/255718/formative-assessment-bewerten-um-des-lernens-willen/

(2) https://blog.pruefungskultur.de/author/christianalbrecht/

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Zeitgemäßes Lernen

Bei uns an der Schule ist der Digitalpakt angekommen. Die Schulentwicklungsgruppe Digitales Lernen arbeitet an einer Umsetzungstrategie für die nächsten zwei Jahre und an einer Fortbildungs- und Transformationsstrategie. 

Transformation? 

Ich glaube, dass die Umwälzungen in der Gesellschaft so groß sind, dass es mit „wir machen mal ein – zwei Fortbildungen je 90 Minuten“ nicht getan ist. Ich glaube, dass mehr nötig ist, als ein paar iPad zu verteilen und ein paar Beamer aufzustellen und deren Funktion zu erklären. Ich glaube, dass sich Lernen und Bildung auf eine neue Ebene begibt und neu diskutiert werden muss. 

Dejan Mihajlovic aus Freiburg hat den Begriff „Zeitgemäßes Lernen“ geprägt. Ein auf den ersten Blick etwas schwammiger Begriff, wo man doch eine genaue „Didaktik des Digitalen Lernens“ erwarten würde. Was ist schon zeitgemäß, das könnte auch eine Mode sein? Aber der Begriff zeigt in seiner Offenheit die Dynamik, in der wir uns befinden. Die Lehrpläne für die Gesamtschule in Hamburg sind an der Oberstufe von 2009, da war das iPhone gerade auf den Markt gekommen. Was in diesen zehn Jahren sich entwickelt hat, weiß jeder. 

Das wird so weiter gehen. Letztlich wissen wir nicht so genau, wie es weiter gehen wird, wie die nächsten zehn Jahre aussehen werden. So scheint es, dass eine „Digitale Didaktik“ schon wieder veraltet sein könnte, wenn sie dann gebunden auf den Buchmarkt käme. Ein dynamischer Begriff wie „zeitgemäßes Lernen“ erscheint also sinnvoll. 

Dejan schreibt in seinem Artikel „Was ist Zeitgemäße Bildung?“ (1), dass für diese Bildung die gesellschaftlichen Entwicklungen dauernd neu analysiert werden müssen. Dabei liegt ein besonderer Blick auf die digitalen Entwicklungen. Die Zeitgemäße Bildung ist dabei mehr als nur das digitale. Sie zielt auf die Aufhebung des Gegensatzes von analogen und digitalen Lernen. Wenn man in den 80ern sagte „wir gehen heute ins Sprachlabor“, kann man heute nicht mehr sagen „wir gehen heute in den Computerraum“. Damit ist die Medienpädagogik als didaktischer Zweig tot. Digitale Geräte und das Internet werden integraler Bestandteil von allen Lernprozessen, wie Papier und Stift. Es gibt auch keine „Papier- und Stift-Pädagogik“. Zeitgemäße Bildung orientiert sich nach Dejan immer wieder neu an den gesellschaftlichen Entwicklungen. 

Der große Fokus ist das „Lebenslange Lernen“. Das ist nicht neu, aber auf was für ein Leben soll die Schule vorbereiten? Genaues wissen wir nicht, aber auf jeden Fall wird die Geschwindigkeit der Veränderung größer werden wird. Das wird viele Menschen vor große Anpassungsprobleme stellen (vgl. Harari, 2). Es stellt sich die Frage, ob wir mit dem heutigen Bildungskanon, der sich in den Curricula widerspiegelt, dem gerecht werden. Dabei wird es nicht helfen, einfach neue Curricula zu schreiben, sondern sich nach Systemen umzuschauen, die dynamischer auf die Veränderungen reagieren können. Alte Handlungsmuster werden nicht mehr funktionieren: Wenn in Hamburg die Mathe-Leistungen nicht zufriedenstellend sind, wird einfach eine Mathestunde draufgesattelt. Wird das die Probleme der Zukunft lösen? Wird die Maßnahme junge Menschen zu einem Ingenieur- oder Informatikstudium motivieren? Ich bin skeptisch. 

Dejan fordert, dass sich Zeitgemäßes Lernen an einem Persönlichen Lernnetzwerk (PLN) orientieren soll. Der Prozess des Lernens sollte mehr in den Fokus kommen, nicht nur die Inhalte. Auch diese Idee ist nicht neu und wurde in den letzten Jahrzehnten oft unter dem Begriff „Lernen lernen“ behandelt. Aber das Internet bietet ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung und Verknüpfung von Lernen. Ich möchte hier den Begriff der „Selbstorganisation“ aus der Systemtheorie hinzufügen. Schule muss mit jungen Leuten Handlungsmöglichkeiten entwickeln, die ein selbstgesteuertes Lernen und leben in einer hochkomplexen digitalen Gesellschaft ermöglicht. Wir entwickeln sie nicht mit Instruktion und Unterweisung „wir machen jetzt alle Aufgabe 5“. Hier ist es die Aufgabe der Schule, die Selbstorganisation der Schüler Schritt für Schritt zu erweitern und zu entwickeln. 

In einer Zeitgemäßen Bildung lösen sich nach Dejan Fächer, Klassen, Schularten oder formale und non-formale Bildung auf. Das wird sicher der schwierigste Teil der Transformation. Nach Ken Robinson (3) ist die Schulorganisation immer noch industriellen Organisationsformen strukturiert, in Deutschland gehen sie bis auf die preußische Schulreform zurück. Aber der Blick nach Skandinavien zeigt ja, dass es geht. 

Aus meiner Sicht sollten sich auch die Lernprozesse ausdifferenzieren. Zeitgemäßer Unterricht wären für mich Lernsituationen, die einen vielfältigen Zugang zu den Lerngegenständen ermöglicht. Darin haben auch Sequenzen des Auswendiglernens oder des frontalen Vortrags ihren Platz, wenn sie in ein Angebot vielfältigen Lernens eingebettet sind. Projekte sind genauso vorhanden wie Lernkurse. Hier bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Dem Lehrenden kommt die Aufgabe zu, die Vielfältigkeit zu strukturieren und die Lernenden bei ihrem individuellen Lernen zu beraten. Wir sollten vielfältiges Lernen ermöglichen. Wenn ein Schüler mal völlig verplant ist, kann auch die direkte Instruktion („Fang jetzt mal mit Aufgabe 5 an“) sinnvoll sein. Aber es kann kein Konzept für alle sein. Wir suchen nach Organisationsformen, wie dieses differenziert Lernangebot in einer Unterrichtsstunde gestaltet werden kann. Ein Beispiel dafür habe ich in meinem letzten Beitrag versucht zu geben. 

Einen wichtigen Widerspruch kann der Begriff Zeitgemäßes Lernen noch nicht lösen: Der Widerspruch zwischen Lernen, Lehren und Bewerten. Neue Prüfungsformate und Bewertungsmaßstäbe müssen entwickelt werden. In dieses Feld müssen wir noch viel Experimentierfreude, Nachdenken und Diskussionen stecken. Die Dauer-Bewertung in unserem Schulalltag passt überhaupt nicht mehr zu unserer komplexen Gesellschaft. Wir brauchen mehr Problemlöser als Akkordarbeiter. Auch hier folgt die Schule immer noch der industriellen Logik. 

Ich glaube, wir haben es mit einer Umwälzung – einer Transformation – des Lernens zu tun. 

(1) Dejan Mihajlovic, Was ist Zeitgemäße Bildung?, in Krommer u.a. Routenplaner Digitale Bildung, Hamburg, 2019

(2) Yuval Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert 

(3) Ken Robinson: https://youtu.be/zDZFcDGpL4U

Foto: Schülerdemonstration auf dem Kulturtag 18 an der Stadtteilschule Niendorf

Zeitgemäßes Lernen in der Praxis

Das „Guten Morgen“ kommt erst nach zehn Minuten. Manchmal dauert es auch 15 Minuten, bis alle arbeitsbereit sind. In dieser Zeit schalte ich Beamer und Computer an, stelle die Ablagekörbe mit den Tischblättern und den Versuchsbeschreibungen auf den Tisch, pinne die Listen mit den erledigten Aufgaben sowie die Feedbackbögen zu mündlicher Mitarbeit und zur Selbststeuerung des Lernens mit Magneten an die Tafel. Zwischendurch schaue ich in die Liste, wer heute als Assistenten fungieren soll. Sie müssen die Physikbücher, die Tischblätter (1), die Experimentierkästen auf die Gruppentische bringen.

Als der Beamer und der Computer hochgefahren ist, bringe ich den Forschungsplan und den Kursordner in IServ (2) auf die Leinwand. Das Foto des Tafelbildes der letzten Stunde muss ich ebenso noch aufrufen. Ganz nach vorne kommen allerdings zwei banale Sätze: „Was hast du in der letzten Stunde geschafft? Was willst du heute machen?“

Mitten im Organisieren beantworte ich noch Schülerfragen, erkundige mich nach dem Wochenende und stelle die entscheidende Frage: „Worauf wartest du? Willst du nicht mal dein Forschungstagebuch auspacken und aufschlagen?“ Ach ja, da war ja was. Die Stunde beginnt, wenn wir den Physikraum betreten, und nicht erst, wenn ich als Lehrer „Guten Morgen“ sage.

Das Lernen wieder zurück in die Verantwortung der Lernenden geben, ist eine meiner Hauptziele eines zeitgemäßen Lernens. Sie müssen selbst die Erfahrung machen, wie es sich anfühlt, selbst für das eigene Lernen verantwortlich zu sein. Wie soll sonst lebenslanges Lernen möglich sein, wenn nicht mehr ein Lehrer den Takt vorgibt. Nach zehn Jahren Belehrung kein leichtes Unterfangen. Über Jahre sind die Schüler darauf konditioniert worden, das zu tun, was der Lehrende von ihnen verlangt, und zwar in einer unmittelbaren Form für alle: “ Alle schlagen jetzt mal die Seite 275 auf und lesen den Text durch“. Da kann man praktischerweise auch mal bei Tischnachbarn nachfragen. Aber was, wenn später im Leben der Tischnachbar und der Lehrer nicht da ist, weil man sich in einem Onlinekurs selber fortbilden muss?

Deshalb ist meine Hauptmaxime: Das Lernen an die Schüler zurückgeben. Und die zweite Maxime ist: Lass sie nicht alleine.

Die ersten haben immerhin das Lerntagebuch aufgeschlagen und das Datum eingetragen. Wenige haben aufgeschrieben, was sie heute machen wollen. Dafür musste ich sie auf die Checkliste in ihrem Forschungsplan oder auf die Klassenliste an der Tafel hinweisen, auf der der Arbeitsfortschritt vermerkt ist. Jetzt kann ich „Guten Morgen“ sagen. Ich kann zur Einleitung etwas zu unserem Lernstand sagen und mache meistens einen kleinen Input zum aktuellen Thema.

Dann geht das Arbeiten in den einzelnen Tischgruppen los. Die Aufgaben haben die Schüler schon am Anfang des Schuljahres in einem Forschungsplan (3) bekommen. In ihm stehen alle Aufgaben drin, Hinweise zu den Arbeitsformen, Links ins Internet, Hinweise zur Führung des Lerntagebuchs und das Bewertungsraster.

Nur mit dem Lesen tun sich die Schüler schwer. Es ist ja bequemer, wenn sie vom Lehrer direkt instruiert werden. Aber den Gefallen tue ich ihnen nicht. Bei Fragen verweise ich entweder auf den Forschungsplan, weise auf die Buchseiten oder einfach an das Nachdenken. Wer nicht beim Vortrag zugehört hat, kann ein YouTube-Video von mir oder Kollegen anschauen. Das ist nicht beliebt bei den Schülern. Es ist ja viel einfacher, alles in kleinen Häppchen von den Lehrenden präsentiert zu bekommen. Deshalb ist zeitgemäßes Lernen, das auf eigenständiges Handeln, Selbstverantwortung, autonome Wahl der Lernformen, eigenverantwortliches Nutzen des Internets und Problemlösen setzt, auch anstrengend.

Der zentrale Lernnachweis ist das Lerntagebuch. Hier werden alle Aktivitäten des Schülers eingetragen. Es ist höchst individuell. Nur was selbst geschrieben oder gezeichnet wurde, möchte ich sehen. Keine Arbeitsblätter, keine Kopien, keine Lückentexte. Das Lerntagebuch soll aber auch die unterschiedlichen Lernformate widerspiegeln: Zeichnungen, (längere) Texte, Versuchsprotokolle, Tabellen, Grafiken, Messungen, Merksätze, Berechnungen. Jede Woche soll durch einen Eintrag dokumentiert werden. Alle Einträge bekommen eine Einleitung und einen Kommentar mit einem reflexiven Blick.

Bei den traditionellen Tests darf das Lerntagebuch zum Nachschlagen benutzt werden. Dafür sind doch eigentlich Aufzeichnungen da: Wenn man Probleme lösen soll (wie in einem Test), schaut man in seine Notizen. Ich weiß, dass das im Widerspruch zur Überprüfungskultur der meisten Schulen steht. Aber die Veränderung der Überprüfungsformate ist eine wichtige Bedingung für das zeitgemäße Lernen in Zeiten der Digitalität.

Währenddessen gehe ich von Tisch zu Tisch und helfe bei auftretenden Fragen: Wie bedient man das Vielfachmessgerät, wie wird das Amperemeter in den Stromkreis eingebaut, welche Skala brauche ich zum Ablesen. Ich habe Zeit, mit den einzelnen Schülern zu sprechen. Ich merke, dass vom Input am Anfang der Stunde wenig hängen geblieben ist. Auch im Lösen von Problemen sind die Schüler wenig geübt. Sie erwarten von mir sofort die Lösung. Mein Spruch in diesen Situationen: „Ich bin Lehrer und kein Vorsager“; und erläutere ihnen, dass ich sie zum eigenen Denken anregen möchte. „Mach mir einen Lösungsvorschlag, und ich sage dir, ob du auf dem richtigen Weg bist“.

Alle Dokumente habe ich in einem Ordner in unserer Kommunikationsplattform IServ gespeichert. Dort finden sich die Forschungsplan, Fotos von Tafelbildern, Übungstests und Links zu Videos und Leifiphysik. Die Handys gehören auf den Tisch, mit dem Display nach unten. Vom Klingeln zum Klingeln ist das Nutzen der Handys für unterrichtliche Zwecke erlaubt. Dazu gehört Instagram und Whatsapp nicht. Diese Regelung basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Die Schüler fotografieren sich die Versuchsaufbauten ab, um sie in der nächsten Stunde wieder rekonstruieren zu können. Auf jedem Gruppentisch steht ein Macbook, um weitere Infoquellen zu nutzen. An der Wand hängen die QR-Codes der Internetlinks.

Ich gebe den Schülern die Möglichkeit, mit Handy und Macbook zu arbeiten. Die ersten bringen ihre eigenen Tablets mit. Ist das jetzt Digitales Lernen? Das Lerntagebuch wird (noch) mit der Hand geschrieben, ein Schulbuch aus Papier dient zum Nachschlagen. Ein Zeitgemäßes Lernen erweitert die Möglichkeiten der Lernenden im eigenen Handeln. Es gibt ihnen Instrumente an die Hand, ihr Tun selbstständig planen und umsetzen zu können. Dazu gibt es viele internetbasierte Tools, die die Erreichung dieses Zieles erleichtern. Ein zeitgemäßes Lernen verringert die Abhängigkeit vom Lernen und weist somit auch in die Richtung einer Demokratisierung des Lernens. Dazu sind digitale Tools hilfreich, aber sie sind nicht Selbstzweck.

Trotzdem trifft das Lernkonzept bei den Schülern nicht nur auf Gegenliebe. Selbstständiges Lernen ist anstrengend, man muss ja selbst Verantwortung übernehmen.

(1) Tischblätter sind Kopien, die zur Ansicht auf den Gruppentischen liegen. Sie sind mit einem T markiert und werden am Ende der Stunde wieder eingesammelt. Sie verhindern das massenhafte Kopieren und sinnlose Mappenfüllen.

(2) Wir benutzen an unserer Schule die Kommunikationsplattform IServ. Sie ist keine Lernplattform. Hier können nur Ordner gefüllt werden, auf die die Schüler Zugriff haben. Die Schüler haben auch eine eigene Ablagemöglichkeit.

(3) Forschungsplan: Elektrik 10 Forschungsplan 19

Ferienbeginn: Zeit für eine Rückschau

Anfang Juli: Woche für Woche hat ein weiteres Bundesland Ferien. Ich war heute noch einmal in der Schule in der ersten Ferienwoche, um die letzten Bilder aufzuhängen, die letzten Zettel wegzuschmeißen und die letzten Dateien auf dem Schulserver zu archivieren. Für mich werden die beginnenden Ferien ganz große Ferien, denn ich setze ein Jahr als Sabbat aus, nach 28 Jahren Lehrer ein Jahr des Innehalten und Besinnens auf den nächsten Schritt.

Dieser Zeitpunkt ist eine gute Gelegenheit, Rückschau zu halten, etwas schlaglichtartig auf die Dinge schauen, die mich in Schule und Bildung bewegen. Vielleicht beschäftigt sich ja der eine oder andere Leser ebenfalls mit einer kleinen Bilanz.

Abitur

Ich habe jetzt im Juni den dritten Abiturjahrgang in Folge verabschiedet. In sechs Jahren habe ich in drei Profildurchgängen der Studienstufe 12/13 versucht, eine gute Mischung zwischen formalen Lernen nach Bildungsplan, Förderung der Selbstständigkeit der jungen Leute im Lernen und das Lernen in Projekten hinzubekommen. Für mich war die Kategorie Bildung immer das Wichtigste, eine Haltung, die es den jungen Leuten ermöglicht, an den gesellschaftlichen Diskursen teilzuhaben und die Entwicklungen kritisch zu hinterfragen.

Mit diesem Ansatz bin ich allerdings nicht oft auf große Gegenliebe bei den Schüler_innen gestoßen. Ihr Abimotto „Nichts gerafft, und trotzdem geschafft“ hat mich doch nachdenklich gestimmt. Es machte den Eindruck, dass viele Schüler_innen mit möglichst geringem Aufwand einen möglichst großen Ertrag herausbekommen wollten. Ein Spaß an der Auseinandersetzung mit Themen, eine Freude, eigenständig eine Sache zu erarbeiten, die Freiheit, eigene Schwerpunkte zu setzen, waren selten zu spüren.

In den Projekten konnten die Schüler_innen eigene Schwerpunkte setzten. In den Projekten „Gentrifizierung in Hamburger Stadtteilen“, „Europa-Ausstellung“ und „Schülerkongress“ habe ich die Verantwortung für das Lernen möglichst weitgehend an die Schüler_innen abgegeben. Leider musste ich feststellen, dass Qualität erst mit einem notenbasierten Anforderungsprofil ins Spiel kam. Das hat mich nachdenklich gemacht: Haben wir unsere Schüler_innen in den 12-13 Jahren Schule so unselbstständig gehalten, dass sie kein eignes Gefühl für Qualität entwickeln konnten? Können sie nur auf äußere Anforderungen hin selbstständig lernen? Leider scheint sich diese Tendenz auch an den Unis und Hochschulen fortzusetzen: Der Trend zum formalen Lernen und Bulimi-Lernen. Haben wir den jungen Leuten die Lust am Lernen abgewöhnt? Oder gehen sie nur aus einer ganz satten Gesellschaft hervor, in der es nichts mehr zu entdecken gibt?

Mit diesen Fragen gehe ich in das nächste Jahr.

Trotzdem bleibt die Erkenntnis, dass den jetzigen Abiturient_innen meist nicht zugetraut wurde, das Abitur zu schaffen. Nur wenige hatten eine Gymnasialempfehlung nach der 4. Klasse. Insofern bleibt es ein Erfolg, dass die Stadtteilschule (Gesamtschule) die Bildungsabschlüsse vieler junger Menschen erweitert.

Projekte

Die Überzeugung, dass man in Projekten besser und nachhaltiger lernen kann, hat mich im letzten Schuljahr bei der Entwicklung der Projektkurse mitmachen lassen (die Projektkurse habe ich in einem vorherigen Beitrag beschrieben). Das Jahresprojekt hieß Expeditionen, ein Thema, so dachte ich, dass 7. Klässler doch begeistern muss. Wir haben viele Ausflüge gemacht, Schatzsuchen, Geocaching, Nahverkehrs-Rallyes, haben gezeltet, historische Expeditionen nacherzählt, Erfahrenes in Projektheften aufgeschrieben.

Hier hatte ich es mit 12jährigen zu tun. Aber auch hier scheint mir die größte Herausforderung zu sein, die jungen Menschen für irgendetwas zu begeistern. Ich habe immer wieder versucht herauszufinden, was die Schüler interessieren könnte; der Projektkurs gab mir ja viel mehr Freiheit, nicht dem Curriculum zu folgen. Außer „Schlafen“, „Zocken“, „nach Hause gehen“ kam nicht viel von den Schülern. Auf keinen Fall „etwas lesen“, schon gar nicht „schreiben“ oder „sich anstrengen“. Eine gemeinsame Projektplanung mit den Schülern habe ich nicht hinbekommen.

So sind die materiellen Ergebnisse des Projektkurses aus meiner Sicht auch eher enttäuschend. Aber vielleicht sind meine Ansprüche zu hoch gewesen. Vielleicht sind die Umbauprozesse im Gehirn von Pubertierenden so stark, dass kaum Energie für Projekte übrig blieben. Vielleicht ist die Pubertät auch nicht das Alter, in dem man Begeisterung und Leidenschaft für Dinge aus der Schule entwickelt. Man will sich ja in erster Linie abgrenzen von den Autoritäten, und da ist es egal, was sie anbieten. Vielleicht sollte man doch auf den alten Pädagogik-Denker Hartmut von Hentig hören, der schon vor vielen Jahren empfohlen hat, die Unterrichtszeit in der Pubertät auf täglich zwei Stunden zu begrenzen. Die restliche Zeit sollte man mit verschiedenen Möglichkeiten der Selbsterfahrung füllen.

Erfahrungen machen ist auch Lernen, vielleicht nicht durch einen Test abfragbar, aber trotzdem wichtig. Die wichtigste Erfahrung scheint mir die zu sein, etwas zu können und etwas zu schaffen. Das findet in der Schule viel zu wenig statt. meine Projektkurs-Schüler hatten wenig gute Meinungen von sich selbst. Als ich ihnen am Schuljahresende jedem persönlich sagte, was ich an tollen Qualitäten gesehen habe im Laufe des Schuljahres, waren viele peinlich berührt, einige zogen meine Worte in das Lächerliche.

Was lerne ich daraus? Wertschätzung kommt an unseren Schule viel zu kurz. Erfahrungen machen sollte einen viel größeren Stellenwert bekommen gegenüber dem formalen Lernen.

Digitales Lernen…

… hat mich natürlich auch im letzten Schuljahr umgetrieben. Wir haben eine offizielle Schulentwicklungsgruppe zum Thema ins Leben gerufen und ein schulinternes Curriculum auf den Weg gebracht, das im kommenden Schuljahr erprobt wird.

Darüber hinaus war ich im Projekt „Digitale Unterrichtsbausteine“ der Stabsstelle Digitalisierung der Schulbehörde aktiv, in der Unterrichtssequenzen entwickelt und bereit gestellt werden. Es ist gut, dass das Thema jetzt auch in der Behörde oben auf der Agenda zu stehen scheint. Im September werden auf einer Plattform der TU Harburg die bis dahin erarbeiteten Bausteine der Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt. Bemerkenswert ist, dass alle Bausteine „oer“ sind, als offen nutzbar, veränderbar und neu editierbar sind.

Ich war auf den Kongressen „Edunautika“ an der Reformschule Winterhude, auf dem OER-Camp an der Medienschule und auf dem Kongress „Learning Cities“ der Körber-Stiftung aktiv. Auf diesen Veranstaltungen habe ich für mich folgende Tendenzen mitgenommen:

  • die Digitalisierung bietet die Chancen der Dezentralisierung von Lernen. Beeindruckend war das Beispiel aus Finnland, wo in Helsinki das Konzept „learning as a service“ die Lernorte über die Stadt verteilt. Gelernt wird nur noch ausnahmsweise in der Schule, sondern mehr in Bibliotheken, Hochschulen, Betrieben usw.
  • Vernetzung von unterschiedlichen Bildungsmöglichkeiten und Bildungsanbietern scheint mir wichtig. Hier wurde auf der learning cities-Konferenz der Begriff des Digitalen Ökosystems geprägt. Alle Elemente hängen miteinander systemisch zusammen und bedingen sich einander.
  • Es droht eine digitale Klassengesellschaft. Die Anzahl von Computern in vielen Haushalten geht zurück, seit dem man mit dem Handy scheinbar alles machen kann. Die Datenmenge bei Schülerhandys ist oft schnell erschöpft. Daher ist die Forderung nach bring your own device nicht so einfach, wie sie sich vielleicht anhört.

Ich gehe mit vielen Fragen ins Sabbatjahr und bin gespannt, wo ich in einem Jahr lande. Ob ich an meine alte Schule in Niendorf zurückgehe, mir eine neue Schule suche oder vielleicht ganz neue Herausforderungen suche. Ich bin gespannt.

Wer mich im Sabbatjahr begleiten will, kann dies unter https://geografunterwegs.wordpress.com tun.

Projekte und digitales Lernen in der Studienstufe

Das neue Schuljahr hat begonnen und ich habe eine neue Profilklasse mit den Fächern Politik, Geografie und Seminar gestartet: Die Profilklasse MenschWelt. Ich gehe mit diesem Konzept in die dritte Runde und möchte meinen Schwerpunkte: Projekte und digitales Lernen, in diesem Profil ausbauen.

Hier ist mein Konzept: profilklasse-mw1618-planung

Ich hätte besonders Interesse an einer digitalen Austauschmöglichkeit meiner Schüler_innen mit anderen Klassen in Deutschland und Europa. Die Bearbeitung eines gemeinsamen Blogs wäre ein lohnendes Projekt.

Zurzeit bearbeiten wir ein Stadtteilprojekt: Gentrifizierung in Hamburger Stadtteilen. Weitere Projektideen wären die Organisation eines Jugendkongresses, in dem die Schüler Jungpolitiker in die Schule zur Diskussion einladen, ein Europaprojekt oder ein Projekt zum Thema Migration. Ich würde mich über Kontakte zu anderen Schulen und Lehrer_innen freuen.

Auch im digitalen Lernen würde ich gerne wieder etwas ausprobieren. In meinem Planungskonzept habe ich eine Liste verzeichnet, welche digitalen Tools ich gerne ausprobieren würde. Ein Hindernis gab es am Schuljahresanfang: Ein Bagger hat in den Ferien eine Wasserleitung gekappt, die den gesamten Keller mit Server unter Wasser gesetzt hat. Während der Server an einem anderen Standort wieder aufgebaut werden konnte, ging das WLAN mehrere Wochen nicht. Ich fand es doch schon erschreckend und überraschend, wie abhängig ich mittlerweile vom Internetzugang im Unterricht bin. Sogar das normale Drucken lief über den defekten Router und war somit nicht mehr möglich.

Aber nun kann es losgehen, alles geht wieder. Ich freue mich über weitere Projektideen für die Klassenstufen 12 und 13.

Neue Lerngruppe digital beginnen – 2

Schon länger hatte ich mir vorgenommen, ein Video für einen flipped classroom aufzunehmen. Die neue Gesellschaftsklasse im Jahrgang 7 hat mir jetzt die Gelegenheit gegeben, den Plan umzusetzen. „Wie liest man ein Klimadiagramm“? Angeregt von einem Gespräch mit Simon Straubel von @ivi-learning habe ich ein Video aufgenommen, zu dem Link einen QR-Code erstellt, ihn ausgedrückt und in den Klassenraum gehängt. Die Schüler können jetzt mit ihrem Smartphone zu dem QR-Code gehen, ihn scannen und sich das Video anschauen. Für leistungsstärkere Schüler ist das einmalige Anschauen ausreichend, aber ich habe auch sieben eher langsamere Schüler in der Klasse, die sich sicher das Video häufiger anschauen müssen, um die Informationen für das eigene Lesen anwenden zu können.

So sind Lernvideos im flipped classroom eine gute Möglichkeit, das Lernen zu differenzieren und auf die unterschiedlichen Lernmöglichkeiten der Schüler einzugehen. 

Wenn man eine neue Lerngruppe bekommt…

Neues Jahr, neue Lerngruppen. Ab dem neuen Jahr bekomme ich die 7d in Gesellschaft zugeteilt, drei Stunden Politik, Geografie und Sozialkunde. 

Was ist zuerst zu tun aus moderner digitaler Sicht? 

Handys auf den Tisch. Schluss mit dem Geklickere unter dem Schultisch. „Ich wollte nur nach der Uhrzeit sehen“, blöde Ausrede. Smartphones gehören zum Leben und Lernen dazu, aber richtig angewendet. Also gilt die Regel: Zwischen Klingeln und Klingeln der Stunde wird das Smartphone nur lernbezogen eingesetzt, und zwar offen und nicht versteckt. 

Ungläubiges Gegrunze unter den SchülerInnen. Ich will nicht kontrollieren, ich gebe Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass sie in der Lernzeit zwischen den Klingeltönen ihr Smartphone nur für das Lernen einsetzen. Vertrauen gegen Vertrauen. Schließlich sollen sie sich auch youtube Videos im Unterricht anschauen können, das geht auch mit dem Smartphone. 

Welche Lernformen sind sehr beliebt in der Klasse? Portfolio? Noch nie gehört. Aber Partnerarbeit ist gerne genommen. In der siebten Klasse ist die soziale Komponente sehr wichtig. Stationenlernen ist eher unbeliebt. Da muss man ja alleine arbeiten. Ich mache eine Linienaufstellung zu verschiedenen Fragestellungen, um die Klasse und ihre Vorlieben kennen zu lernen. Wer sie gut findet, nach links, wer nichts davon hält, nach rechts.

Dann der Email-Check. Haben alle ihre Accounts für iServ? Wir benutzen an der Stadtteilschule Niendorf den Portalserver iSurf für die Organisation der Arbeit. Die Rundmails an die Klasse sollen auch alle erreichen. Morgen den Atlas mitbringen! Fünf SchülerInnen haben ihr Kennwort vergessen. Also Liste erstellen, Kennwort zurücksetzen und Neustart. Computerraum gebucht, mit allen Schülern rein und alle auf den Stand der digitalen Erreichbarkeit setzen. 

Und was mit denen, die alles schon klar haben? Anmelden bei der Lernplattform. Ich habe schon den Klassenraum „Gesellschaft 7d 16“ eingerichtet, die SchülerInnen melden sich mit dem Kennwort an, und können dann auf alle Aufgaben zugreifen. In Hamburg steht allen SChulen und den Universitäten die Lernplattform „schulcommsy“ kostenlos zur Verfügung. 

Alle Aufgaben stelle ich auf der Lernplattform im Klassenraum unter den Reiter „Aufgaben“. Gleichzeitig drücke ich die Aufgaben aus, lege sie analog in einen Ablagekasten. Ich arbeite digital und analog zugleich. Das beste aus beiden Welten. Die Aufgaben bekommen aber nicht mehr alle per Kopie, es gibt nur einige Kopien im Klassenraum zur Ansicht. Aufgaben kann man sich schließlich auch merken. 

Alle SchülerInnen können jetzt in ihrem eigenen Tempo lernen. Ich habe Aufgaben für die nächsten drei Wochen in die Lernplattform gestellt. Jetzt kann ich mich um die Inklusionskinder kümmern. Brauchen sie einfachere Aufgaben? Ja klar, einfachere Texte, mehr Hilfestellungen. Also füge ich den Aufgaben Tipps und Hilfestellungen hinzu, auch auf der Lernplattform. 

In jeder Doppelstunde buche ich 6 MacBooks für die Klasse. Die müssen herumgereicht werden. BYOD – ich fordere die SchülerInnen auf, ihre eigenen Geräte mitzubringen. Ich bin gespannt, wie weit sie es schaffen, eigenes Material in die Schule mitzubringen. Digitale Geräte dienen der Differenzierung. JedeR arbeitet so schnell er/sie kann. Die neuen Aufgaben stehen ja schon bereit. Digital und analog als Kopie. Ich habe zwei Computerexperten für die Klasse bestimmt. Die starten den Klassencomputer, eine MacMini, am Anfang der Stunde und holen die Funktastatur und -Maus aus dem Schrank. Ich melde mich beim Klassenraum Schulcommsy an und die aktuellen Aufgaben erscheinen auf der Leinwand. Jeder Schüler kann schauen, wie weit er/sie schon ist. 

Sind die ersten Lernergebnisse vorhanden, kommt das Wiki ins Spiel. Her werden alle Lernergebnisse gesammelt. Es geht um die Erde als Planet im Sonnensystem. Wie entstehen die unterschiedliche Tageslängen  im Sommer und im Winter, wie entstehen die Jahreszeiten? Wer diese Fragen herausbekommt, schreibt sie in das Klassenwiki. Das Wiki ist ein Plugin zu dem Klassenraum auf Schulcommsy. Das Wiki zeigt alle Ergebnisse des Lernens der Klasse. Das Wiki beginnt in der Regel mit einem Glossar, da viele Fachbegriffe gelernt werden müssen. Die Einträge können auch hier wieder differenziert erfolgen, entweder gleich in der Schule über die MacBooks, oder zu Hause über den eigenen Computer. 

Die schnell lernenden SchülerInnen sind frei, in ihrem Tempo zu arbeiten. Sie müssen nicht mehr warten, bis alle in der Klasse so weit sind. So wird niemand behindert. Wer mit einer Aufgabe fertig ist, holt sich die nächste. JedeR Schüler bekommt eine Aufgabenlisten zum Abhaken und zur Übersicht, wie weit man ist. 

In jeder Doppelstunde gibt es eine Klassen-Gesprächsrunde. Hier werden die Inhalte besprochen, vertieft und wiederholt. Nach einer Gesprächsrunde werden die Wissens-Tests geschrieben. Damit kann ich mir einen Überblick über den Lernfortschritt der Klasse verschaffen. Wer noch nicht so weit ist, kann den Test verschieben. 

Langsam werde ich Schweigezeiten beim Lernen einführen. Erst wenige Minuten, dann immer länger. In der siebten Klasse ist das souziale Miteinander wichtiger als das Lernen. Das ist ganz normal und nicht beunruhigendswert. Trotzdem können Schweigezeiten die Konzentration verbessern. In dieser Zeit darf nicht geredet werden, das gilt auch für mich als Lehrer. Das fordert auch von mir eine große Portion Konzentration, da nicht nur Schüler gerne reden, sondern auch Lehrer. 

Ich bin gespannt wie sich das Lernen in der neuen Gruppe entwickelt.