#ecstg: Session Lernprodukte erstellen

Am Sonnabend habe ich auf dem Educamp Stuttgart die Session „Lernprodukte erstellen“ angeboten. Der Raum im Literaturhaus war rappelvoll, was mich sehr gefreut hat. Ich habe diese Session angeboten, weil ich mich im letzten halben Jahr gefragt habe, was die Diskussion um open education ressources OER eigentlich den Schulen bringt – an Unterrichtsmaterial mangelt es uns doch nicht.

In meinen Recherchen und Überlegungen bin ich darauf gestoßen, dass die Chancen für OER an der Schule auch in einer erweiterten Lernkultur liegen: Lernprodukte werden erstellt – geteilt – verändert – wieder veröffentlicht. Ich habe in die Runde der Session gefragt, welche Möglichkeiten digitale Ressourcen bieten, diese Kultur zu entwickeln.

Die Wertschätzung der Produkte der Schüler ist für mich ein zentrales Ziel, diese Diskussion aufzunehmen. Sehr häufig arbeiten die Schüler nur für die Note, die in das rote Büchlein des Lehrenden eingetragen wird, und dann hat die Arbeit des Schülers ausgedient und wandert in den Papiermüll. Ich glaube, dass täglich so viele tolle Produkte von Schülern hergestellt werden, dass sie mehr gewertschätzt und von anderen Schülern weiterverwendet werden können.

Das setzt natürlich auch eine andere Fehlerkultur voraus. Das Unperfekte – das Objekt allen Lernens – gibt die Chance, es zu verbessern und in diesem Verbesserungsprozess weiter zu lernen. Nach meiner Wahrnehmung leiden die Schüler sehr darunter, dass sie viel zu häufig die Rückmeldung „nicht gut“ (also alle Noten unterhalb von ‚2‘) bekommen. Wir Lehrende sollten sie ermutigen, ihr bestes zu geben, aber nicht das Perfekte zu erwarten, und wir sollten es auch nicht erwarten. Zwischen ‚falsch‘ und ’noch nicht perfekt‘ gibt es einen Unterschied. Die Lehrenden sollten natürlich darauf achten, dass sachlich falsches nicht unkomentiert stehen bleibt, aber sie sollten in dem ’noch nicht Perfekten‘ die Chancen sehen, weiter daran zu lernen und die Schüler in diesem Sinne zu ermutigen.

Es wurde in der Session deutlich, dass das Erstellen und Veröffentlichen von Lernprodukten überhaupt nicht neu ist. Auch schon im analogen Zeitalter wurden Lesetagebücher, Lyrikheftchen, Kunstmappen usw. gedruckt und veröffentlicht. Bei Montessori und Freinet war das Produzieren schon vor vielen Jahrzehnten eine zentrale Idee ihrer Pädagogik. Im Internet-Zeitalter wird das Veröffentlichen und Verbreiten deutlich leichter. Uns stehen heute vielfältige Tools und Plattformen zur Verfügung, um Lernprodukte herzustellen: Neben den klassischen Texten können Videos, Podcasts einfach mit dem Smartphone aufgenommen werden. Blogeinträge ermöglichen eine leichte Kommunikation über den Klassenraum hinaus.

Wo veröffentlicht wird, hängt von der jeweiligen Situation der Lerngruppe ab. Die erste Stufe ist die Veröffentlichung in der Klasse, Texte, Videos usw. werden ausgetauscht, kommentiert und verbessert. Die nächste Stufe könnte der Austausch unter Parallelklassen sein um zu schauen, was die anderen zu einem Thema machen. Lernprodukte können auch den folgenden Jahrgängen zur Verfügung gestellt werden, wenn diese im nächsten Schuljahr zu dem gleichen Thema arbeiten. Lernprodukte können auch auf der Schulhomepage veröffentlicht werden, Eltern und Lehrer können sich ein Bild über die Lernarbeit in den Klassen machen. Und zuletzt gibt es natürlich auch die Möglichkeit, im www weltweit zu veröffentlichen. In youtube können Videos auch im Privatmodus veröffentlicht werden, so dass nur diejenigen das Video sehen können, die den Link haben.

Fördern wir durch die Veröffentlichung von Lernprodukten nicht die schon leidlich vorhandene ‚copy and paste‘-Kultur? Ich denke nicht, wenn wir bewusst mit den Möglichkeiten umgehen. Wie bei allen Möglichkeiten bietet auch das Veröffentlichen Chancen und Gefahren. Aber eine Lernkultur zeichnet sich dadurch aus, dass man die Möglichkeiten und Chancen nutzt, und die Gefahren minimiert. Etwas nicht zu tun aus Angst vor ‚copy and paste‘ hieße, Chancen zu verpassen. So wäre die Entwicklung einer ’no-copy and paste-Kultur‘ an der Schule eine wichtige Lernaufgaben. Der Umgang mit dem Urheberrecht kann dabei gelernt werden. Aber aus dem Angst vor dem Urheberrecht, die gerne immer wieder beschworen wird, sollten wir und und unsere Schüler nicht von kreativen Veröffentlichungen abhalten lassen.

Die Wertschätzung der Leistungen der Schüler über die Noten hinaus ist ein wichtiger Treibstoff für das Lernen – das wurde von allen Teilgebern in der Session in Stuttgart unterstützt.

Vielen Dank für die engagierte Diskussion

Hier noch ein paar Beispiele

Konfliktanalysen Schüler 12MW Semesterprojekt St. Georg

Beispiele von Thorsten Larbig: http://herrlarbig.de/2011/11/07/faust-der-tragodie-1-teil-als-rap-text-schulerarbeit/ … und http://herrlarbig.de/2012/06/12/schulerarbeiten-zu-theodor-fontanes-irrungen-wirrungen/

OER und Fehlerkultur

Potentiale entdecken oder Fehler anstreichen? Was soll ich als Lehrer machen?

Die Klausurensaison hat nach den Herbstferien wieder begonnen. Zwischen Oktober und Weihnachten brummen bis zu drei Klausuren wöchentlich durch die Klassenräume. Und dann werden an den heimischen Schreibtischen wieder tausende von Fehlern angestrichen und sich in Lehrerzimmern über die unfassbare Menge von Fehlern aufgeregt.

Dabei weiß der humanistisch eingestellte Lehrer schön länger, und der an neurobiologischen Forschungen interessierte Kollege seit kürzeren, dass eher die Ermutigung und das Unterstreichen des Guten und Besonderen die Lernmotivation und das Selbstvertrauen stärkt. Lob und Bestärkung sind kräftige Rückenwinde im Lernalltag.

Und Fehler? Aus denen lernt man bekanntlich. Für den selbstbewussten Lerner können sie ein Ansporn sein, für den Zögerlichen niederschmetternd. Der eine lehnt sich bei viel Lob selbstgefällig zurück, der andere schöpft Energie für das nächste Lernprojekt. Was also tun?

Ich glaube, das Bestärkung und Potentialförderung genau so wichtig sind wie Kritik und Fehlerbenennung. Das Verhältnis zwischen beiden Polen ist individuell, und es abzuwägen bleibt die Lehrkunst des Pädagogen. Das ist auch eines der Gründe, warum die Lehrer trotz aller Digitalisierung, Internetressourcen und MOOCs nicht überflüssig werden. Sie sind, finde ich, nötiger denn je, um Orientierung in der wilden weiten Lernwelt zu geben.

Freie Bildungsmaterialien bieten viele Chancen, beide Pole bei der Erstellung von schönen Lernprodukten zu bedienen – und damit einen guten Lernerfolg zu erzielen. Lernprodukte werden von Lernenden erstellt, die noch unvollkommen sind (also viel Potential enthalten, aber noch mit Fehlern versehen sind). Wir stellen sie bewusst unvollkommen als OER zur Verfügung, damit sie andere Lernende aufnehmen und verbessern. So entsteht ein kollektiver Lernprozess der dauerhaften Verbesserung. Dieses Prinzip ist analog wie digital möglich, die digitale Bearbeitung kann aber eine Überarbeitung erleichtern. Auch funktioniert es von der Dreiergruppe im Klassenraum bis hin zum www.

Eine einfache Möglichkeit zur Erstellung von Lernprodukten sind wikis. Ich erstelle ein wiki in meiner Klasse zu einem Thema. Alle in einer Klasse führen ein gemeinsames wiki zu dem bearbeiteten Thema wie ein gemeinsam erarbeiter Wissenspeicher, der sich kontinuierlich füllt. Als Lehrender gebe ich die Stuktur, die dann von den Lernenden gefüllt wird. Jeder muss sich beteiligen. Dabei ist die kritische Auseinandersetzung mit dem schon vorhandenen nötig, eben auch das Erkennen und Verbessern von Fehlern.

Ich merke bei dieser Arbeit, wie festgefügt die Kultur ist, dass nur der Lehrer Fehler identifiziert und „anstreicht“. Bisher haben meine Schüler eine große Scheu, sich mit dem von anderen geschriebenen auseinander zusetzen und zu verändern und zu verbessern. Aber ich glaube gerade in dieser Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen in einer kritischen Weise (eben nicht nur in einer Adaption wie aus dem Schulbuch) bietet eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema und ein nachhaltiges Lernen. Aber die Schüler trauen sich noch nicht recht.

Dabei ist das Prinzip der kollaborativen Problemlösung heute nicht mehr wegzudenken. Welche (globalen) Probleme können heute noch von einzelnen gelöst werden? Ohne das Potential von vielen werden große Herausforderungen nicht zu meistern sein, aber auch nicht ohne die kritische Sicht auf die Fehler.

Ich möchte also meine Schüler zu einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit den Lernprodukten von anderen ermutigen – im Sinne von „open“, die eigenen Lernprodukte für eine Weiterentwicklung zur Verfügungen zu stellen. Und ich möchte mich selbst weiter in einem pädagogischen Umgang mit Potenialen und Fehlern weiterentwickeln.

#oerkoeln: Lernprodukte mit neuer Fehlerkultur

Wenn wir Lernpodukte mit OER erstellen und veröffentlichen wollen, brauchen wir eine neue Fehlerkultur. Lernprodukte sind ja nie perfekt, was Lernende produzieren, kann man ja nicht mit professionellen Veröffentlichungen vergleichen. Trotzdem halte ich das Veröffentlichen für einen wichtigen Schritt der Wertschätzung und der Verantwortung für die eigene Arbeit. Lernprodukte werden nicht mehr nur für den Lehrer gemacht, sondern für andere; je nach Verbreitung für die Klasse, den Jahrgang, die Schule, die Welt.

Das ist doch eigentlich der Sinn von OER, Dinge zu veröffentlichen, die andere weiter verwenden und verbessern können. Die Idee, gemeinsam für ein best möglichen Produkt zu arbeiten, finde ich faszinierend. Es verlangt Mut, Dinge zu veröffentlichen, von denen man weiß, dass sie noch nicht perfekt sind und den „momentan gültigen Irrtum“ darstellen (Peter Fratton).

Das gilt natürlich auch für Lehrende. Viele Lehrprodukte werden nicht veröffentlicht, weil sie schnell für die nächste Stunde entworfen wurden und eine pragmatische Qualität aufweisen. Sie erfüllen nicht die harten Kriterien der Didaktik und dem strengen Blick der Seminarleiter. Ich glaube das ist der Grund, warum Lehrende auch so zurückhaltend mit der Kooperation sind: sie müssten eigene Arbeit offen legen, die nicht die Qualität einer Doktorarbeit hätte.

Aber was wäre daran so schlimm? Sollten wir Lehrende nicht mit gutem Beispiel voran gehen und selbstbewusst unsere nicht perfekten Lehr-Materialien veröffentlichen, damit sie im Sinne von OER von anderen aufgenommen, verbessert, verarbeitet werden können? Im Sinne von Anregen, Inspirieren, Ideen geben? Wenn wir Lehrenden mit einer neuen Fehlerkultur voran gehen würden, könnte das auf die Schüler ermutigend wirken.

Ich werde mich bei jedem Lernenden bedanken, der etwas falsches sagt: er gibt uns die Chance, in Zukunft falsche Wege zu vermeiden und die Möglichkeit, uns vertiefter mit der Sache auseinander zusetzen.

Lernprodukte mit OER

Referate, Hausarbeiten, Plakate, Präsentationen – Alltag in den Schulen seit Jahren. Die Plakate verstauben auf den Klassenschränken und werden am Schuljahresende weggeschmissen, Referate gehalten und nach Erhalt der Zensur vergessen, Hausarbeiten mit Glück von den Lehrerinnen und Lehrern gelesen, mit dem Ziel, eine Note zu vergeben. Mit Glück kommt ein Plakat mal eine eine Klassen- oder Schulwand.

Dabei haben viele Produkte von Schülern es verdient, mehr gewertschätzt zu werden als nur durch eine Note. Das Internet bietet nun viele Möglichkeiten, Arbeiten von Schülern zu veröffentlichen und mehr Menschen zu präsentieren. „Lernen sichtbar machen“, wie John Hattie nach seiner Auswertung von tausenden von Studien fordert, könnte so verwirklicht werden. Der einfachste Schritt ist natürlich eine Veröffentlichung auf der Schulhomepage. Ich habe für meine Klasse ein WordPress-Blog aufgelegt, in dem wir Lernprodukte veröffentlichen. Dieser ist dann mit der Schulhomepage verlinkt.

Aber bei jeder Veröffentlichung im Internet kommt man mit dem Copyright in Berührung. Das in der Schule übliche kopieren und neu zusammensetzen von Lernmaterialien, von Lehrerinnen und Lehrern bei der Gestaltung von Arbeitsblättern täglich praktiziert, geht bei einer Veröffentlichung im Internet natürlich nicht mehr. Veröffentlichen macht es notwendig, sich über das Urheberrecht mit den Schülerinnen und Schülern genau auseinanderzusetzen. Das beliebte Copy and Paste geht dann nicht mehr.

Ich halte die Notwendigkeit, nur eigene Produkte zu verarbeiten, für einen wichtigen Lernschritt. Die Umwandlung von Gelesenem in ein eigenes Produkt ermöglicht ein „vertieftes Verarbeiten“, das ein nachhaltiges Lernen, das über den nächsten Test-Termin hinausgeht, möglich. Trotzdem gibt es Inhalte, besonders Fotos, Grafiken und Videos, die sinnvoll in ein eigenes Lernprodukt eingebunden werden sollte.

Hier kann man dann nur freie Materialien nehmen, die zur Weiterverwendung lizensiert sind. Hier setzt das Konzept Open Education Ressorces an. Freie Bildungsmaterialien sind ausdrücklich für die Weiterverwendung freigegeben. Sie können bei Namensnennung und Quellenangabe für eigene Lernmaterialien verwendet werden.

Das Herstellen von eigenen Lernmaterialien und deren Veröffentlichung kann ein wichtiger Schritt für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen sein und eine stärkere Identifikation der Lernenden mit ihrer Arbeit ermöglichen.

Ich werde an dieser Stelle weiter über praktische Beispiele von Lernprodukten berichten.

 

OER-Konferenz 14: (Digitales) Lernen in der Schule mit OER

Am 13.09.2014 habe ich auf der OER-Konferenz in Berlin, die von wikimedia organisiert wurde, einen kleinen Vortrag zu meinen Vorstellungen zu den Möglichkeiten gehalten, freie Bildungsmedien in der Schule zu nutzen. Ich lade hier die Präsentation und den Text des Vortrages zum Nachlesen hoch. Im Verlauf der Konferenz und in den vielfältigen Workshops und Sessions ist mir aus Sicht eines Lehrenden deutlich geworden, dass freie Bildungsmaterialien die klassischen Schulbücher nicht ersetzen, aber gut ergänzen können und zu einer Erweiterung der Möglichkeiten des Lernens darstellen. Ich habe die These formuliert, dass freie Bildungsmaterialien nicht „per se“ gut sind, sondern erst innerhalb eines didaktischen Konzepts wirksam sind. Dazu gehört v.a. die Möglichkeit, Lernmaterialien durch Lernende zu erstellen und wieder zu veröffentlichen, um Lernen sichtbar zu machen. Das verlangt wiederum, dass wir in der Schule auch eine „Freude am Unperfekten“ entwickeln, was dann allerdings auch ein Überdenken der „Fehlerkultur“ an der Schule nötig macht. Dazu im Vortragstext mehr. OER-Konferenz Hillebrecht OER Vortrag