Zeitgemäßes Lernen

Bei uns an der Schule ist der Digitalpakt angekommen. Die Schulentwicklungsgruppe Digitales Lernen arbeitet an einer Umsetzungstrategie für die nächsten zwei Jahre und an einer Fortbildungs- und Transformationsstrategie. 

Transformation? 

Ich glaube, dass die Umwälzungen in der Gesellschaft so groß sind, dass es mit „wir machen mal ein – zwei Fortbildungen je 90 Minuten“ nicht getan ist. Ich glaube, dass mehr nötig ist, als ein paar iPad zu verteilen und ein paar Beamer aufzustellen und deren Funktion zu erklären. Ich glaube, dass sich Lernen und Bildung auf eine neue Ebene begibt und neu diskutiert werden muss. 

Dejan Mihajlovic aus Freiburg hat den Begriff „Zeitgemäßes Lernen“ geprägt. Ein auf den ersten Blick etwas schwammiger Begriff, wo man doch eine genaue „Didaktik des Digitalen Lernens“ erwarten würde. Was ist schon zeitgemäß, das könnte auch eine Mode sein? Aber der Begriff zeigt in seiner Offenheit die Dynamik, in der wir uns befinden. Die Lehrpläne für die Gesamtschule in Hamburg sind an der Oberstufe von 2009, da war das iPhone gerade auf den Markt gekommen. Was in diesen zehn Jahren sich entwickelt hat, weiß jeder. 

Das wird so weiter gehen. Letztlich wissen wir nicht so genau, wie es weiter gehen wird, wie die nächsten zehn Jahre aussehen werden. So scheint es, dass eine „Digitale Didaktik“ schon wieder veraltet sein könnte, wenn sie dann gebunden auf den Buchmarkt käme. Ein dynamischer Begriff wie „zeitgemäßes Lernen“ erscheint also sinnvoll. 

Dejan schreibt in seinem Artikel „Was ist Zeitgemäße Bildung?“ (1), dass für diese Bildung die gesellschaftlichen Entwicklungen dauernd neu analysiert werden müssen. Dabei liegt ein besonderer Blick auf die digitalen Entwicklungen. Die Zeitgemäße Bildung ist dabei mehr als nur das digitale. Sie zielt auf die Aufhebung des Gegensatzes von analogen und digitalen Lernen. Wenn man in den 80ern sagte „wir gehen heute ins Sprachlabor“, kann man heute nicht mehr sagen „wir gehen heute in den Computerraum“. Damit ist die Medienpädagogik als didaktischer Zweig tot. Digitale Geräte und das Internet werden integraler Bestandteil von allen Lernprozessen, wie Papier und Stift. Es gibt auch keine „Papier- und Stift-Pädagogik“. Zeitgemäße Bildung orientiert sich nach Dejan immer wieder neu an den gesellschaftlichen Entwicklungen. 

Der große Fokus ist das „Lebenslange Lernen“. Das ist nicht neu, aber auf was für ein Leben soll die Schule vorbereiten? Genaues wissen wir nicht, aber auf jeden Fall wird die Geschwindigkeit der Veränderung größer werden wird. Das wird viele Menschen vor große Anpassungsprobleme stellen (vgl. Harari, 2). Es stellt sich die Frage, ob wir mit dem heutigen Bildungskanon, der sich in den Curricula widerspiegelt, dem gerecht werden. Dabei wird es nicht helfen, einfach neue Curricula zu schreiben, sondern sich nach Systemen umzuschauen, die dynamischer auf die Veränderungen reagieren können. Alte Handlungsmuster werden nicht mehr funktionieren: Wenn in Hamburg die Mathe-Leistungen nicht zufriedenstellend sind, wird einfach eine Mathestunde draufgesattelt. Wird das die Probleme der Zukunft lösen? Wird die Maßnahme junge Menschen zu einem Ingenieur- oder Informatikstudium motivieren? Ich bin skeptisch. 

Dejan fordert, dass sich Zeitgemäßes Lernen an einem Persönlichen Lernnetzwerk (PLN) orientieren soll. Der Prozess des Lernens sollte mehr in den Fokus kommen, nicht nur die Inhalte. Auch diese Idee ist nicht neu und wurde in den letzten Jahrzehnten oft unter dem Begriff „Lernen lernen“ behandelt. Aber das Internet bietet ganz neue Möglichkeiten der Vernetzung und Verknüpfung von Lernen. Ich möchte hier den Begriff der „Selbstorganisation“ aus der Systemtheorie hinzufügen. Schule muss mit jungen Leuten Handlungsmöglichkeiten entwickeln, die ein selbstgesteuertes Lernen und leben in einer hochkomplexen digitalen Gesellschaft ermöglicht. Wir entwickeln sie nicht mit Instruktion und Unterweisung „wir machen jetzt alle Aufgabe 5“. Hier ist es die Aufgabe der Schule, die Selbstorganisation der Schüler Schritt für Schritt zu erweitern und zu entwickeln. 

In einer Zeitgemäßen Bildung lösen sich nach Dejan Fächer, Klassen, Schularten oder formale und non-formale Bildung auf. Das wird sicher der schwierigste Teil der Transformation. Nach Ken Robinson (3) ist die Schulorganisation immer noch industriellen Organisationsformen strukturiert, in Deutschland gehen sie bis auf die preußische Schulreform zurück. Aber der Blick nach Skandinavien zeigt ja, dass es geht. 

Aus meiner Sicht sollten sich auch die Lernprozesse ausdifferenzieren. Zeitgemäßer Unterricht wären für mich Lernsituationen, die einen vielfältigen Zugang zu den Lerngegenständen ermöglicht. Darin haben auch Sequenzen des Auswendiglernens oder des frontalen Vortrags ihren Platz, wenn sie in ein Angebot vielfältigen Lernens eingebettet sind. Projekte sind genauso vorhanden wie Lernkurse. Hier bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Dem Lehrenden kommt die Aufgabe zu, die Vielfältigkeit zu strukturieren und die Lernenden bei ihrem individuellen Lernen zu beraten. Wir sollten vielfältiges Lernen ermöglichen. Wenn ein Schüler mal völlig verplant ist, kann auch die direkte Instruktion („Fang jetzt mal mit Aufgabe 5 an“) sinnvoll sein. Aber es kann kein Konzept für alle sein. Wir suchen nach Organisationsformen, wie dieses differenziert Lernangebot in einer Unterrichtsstunde gestaltet werden kann. Ein Beispiel dafür habe ich in meinem letzten Beitrag versucht zu geben. 

Einen wichtigen Widerspruch kann der Begriff Zeitgemäßes Lernen noch nicht lösen: Der Widerspruch zwischen Lernen, Lehren und Bewerten. Neue Prüfungsformate und Bewertungsmaßstäbe müssen entwickelt werden. In dieses Feld müssen wir noch viel Experimentierfreude, Nachdenken und Diskussionen stecken. Die Dauer-Bewertung in unserem Schulalltag passt überhaupt nicht mehr zu unserer komplexen Gesellschaft. Wir brauchen mehr Problemlöser als Akkordarbeiter. Auch hier folgt die Schule immer noch der industriellen Logik. 

Ich glaube, wir haben es mit einer Umwälzung – einer Transformation – des Lernens zu tun. 

(1) Dejan Mihajlovic, Was ist Zeitgemäße Bildung?, in Krommer u.a. Routenplaner Digitale Bildung, Hamburg, 2019

(2) Yuval Harari, 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert 

(3) Ken Robinson: https://youtu.be/zDZFcDGpL4U

Foto: Schülerdemonstration auf dem Kulturtag 18 an der Stadtteilschule Niendorf

Wenn man eine neue Lerngruppe bekommt…

Neues Jahr, neue Lerngruppen. Ab dem neuen Jahr bekomme ich die 7d in Gesellschaft zugeteilt, drei Stunden Politik, Geografie und Sozialkunde. 

Was ist zuerst zu tun aus moderner digitaler Sicht? 

Handys auf den Tisch. Schluss mit dem Geklickere unter dem Schultisch. „Ich wollte nur nach der Uhrzeit sehen“, blöde Ausrede. Smartphones gehören zum Leben und Lernen dazu, aber richtig angewendet. Also gilt die Regel: Zwischen Klingeln und Klingeln der Stunde wird das Smartphone nur lernbezogen eingesetzt, und zwar offen und nicht versteckt. 

Ungläubiges Gegrunze unter den SchülerInnen. Ich will nicht kontrollieren, ich gebe Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass sie in der Lernzeit zwischen den Klingeltönen ihr Smartphone nur für das Lernen einsetzen. Vertrauen gegen Vertrauen. Schließlich sollen sie sich auch youtube Videos im Unterricht anschauen können, das geht auch mit dem Smartphone. 

Welche Lernformen sind sehr beliebt in der Klasse? Portfolio? Noch nie gehört. Aber Partnerarbeit ist gerne genommen. In der siebten Klasse ist die soziale Komponente sehr wichtig. Stationenlernen ist eher unbeliebt. Da muss man ja alleine arbeiten. Ich mache eine Linienaufstellung zu verschiedenen Fragestellungen, um die Klasse und ihre Vorlieben kennen zu lernen. Wer sie gut findet, nach links, wer nichts davon hält, nach rechts.

Dann der Email-Check. Haben alle ihre Accounts für iServ? Wir benutzen an der Stadtteilschule Niendorf den Portalserver iSurf für die Organisation der Arbeit. Die Rundmails an die Klasse sollen auch alle erreichen. Morgen den Atlas mitbringen! Fünf SchülerInnen haben ihr Kennwort vergessen. Also Liste erstellen, Kennwort zurücksetzen und Neustart. Computerraum gebucht, mit allen Schülern rein und alle auf den Stand der digitalen Erreichbarkeit setzen. 

Und was mit denen, die alles schon klar haben? Anmelden bei der Lernplattform. Ich habe schon den Klassenraum „Gesellschaft 7d 16“ eingerichtet, die SchülerInnen melden sich mit dem Kennwort an, und können dann auf alle Aufgaben zugreifen. In Hamburg steht allen SChulen und den Universitäten die Lernplattform „schulcommsy“ kostenlos zur Verfügung. 

Alle Aufgaben stelle ich auf der Lernplattform im Klassenraum unter den Reiter „Aufgaben“. Gleichzeitig drücke ich die Aufgaben aus, lege sie analog in einen Ablagekasten. Ich arbeite digital und analog zugleich. Das beste aus beiden Welten. Die Aufgaben bekommen aber nicht mehr alle per Kopie, es gibt nur einige Kopien im Klassenraum zur Ansicht. Aufgaben kann man sich schließlich auch merken. 

Alle SchülerInnen können jetzt in ihrem eigenen Tempo lernen. Ich habe Aufgaben für die nächsten drei Wochen in die Lernplattform gestellt. Jetzt kann ich mich um die Inklusionskinder kümmern. Brauchen sie einfachere Aufgaben? Ja klar, einfachere Texte, mehr Hilfestellungen. Also füge ich den Aufgaben Tipps und Hilfestellungen hinzu, auch auf der Lernplattform. 

In jeder Doppelstunde buche ich 6 MacBooks für die Klasse. Die müssen herumgereicht werden. BYOD – ich fordere die SchülerInnen auf, ihre eigenen Geräte mitzubringen. Ich bin gespannt, wie weit sie es schaffen, eigenes Material in die Schule mitzubringen. Digitale Geräte dienen der Differenzierung. JedeR arbeitet so schnell er/sie kann. Die neuen Aufgaben stehen ja schon bereit. Digital und analog als Kopie. Ich habe zwei Computerexperten für die Klasse bestimmt. Die starten den Klassencomputer, eine MacMini, am Anfang der Stunde und holen die Funktastatur und -Maus aus dem Schrank. Ich melde mich beim Klassenraum Schulcommsy an und die aktuellen Aufgaben erscheinen auf der Leinwand. Jeder Schüler kann schauen, wie weit er/sie schon ist. 

Sind die ersten Lernergebnisse vorhanden, kommt das Wiki ins Spiel. Her werden alle Lernergebnisse gesammelt. Es geht um die Erde als Planet im Sonnensystem. Wie entstehen die unterschiedliche Tageslängen  im Sommer und im Winter, wie entstehen die Jahreszeiten? Wer diese Fragen herausbekommt, schreibt sie in das Klassenwiki. Das Wiki ist ein Plugin zu dem Klassenraum auf Schulcommsy. Das Wiki zeigt alle Ergebnisse des Lernens der Klasse. Das Wiki beginnt in der Regel mit einem Glossar, da viele Fachbegriffe gelernt werden müssen. Die Einträge können auch hier wieder differenziert erfolgen, entweder gleich in der Schule über die MacBooks, oder zu Hause über den eigenen Computer. 

Die schnell lernenden SchülerInnen sind frei, in ihrem Tempo zu arbeiten. Sie müssen nicht mehr warten, bis alle in der Klasse so weit sind. So wird niemand behindert. Wer mit einer Aufgabe fertig ist, holt sich die nächste. JedeR Schüler bekommt eine Aufgabenlisten zum Abhaken und zur Übersicht, wie weit man ist. 

In jeder Doppelstunde gibt es eine Klassen-Gesprächsrunde. Hier werden die Inhalte besprochen, vertieft und wiederholt. Nach einer Gesprächsrunde werden die Wissens-Tests geschrieben. Damit kann ich mir einen Überblick über den Lernfortschritt der Klasse verschaffen. Wer noch nicht so weit ist, kann den Test verschieben. 

Langsam werde ich Schweigezeiten beim Lernen einführen. Erst wenige Minuten, dann immer länger. In der siebten Klasse ist das souziale Miteinander wichtiger als das Lernen. Das ist ganz normal und nicht beunruhigendswert. Trotzdem können Schweigezeiten die Konzentration verbessern. In dieser Zeit darf nicht geredet werden, das gilt auch für mich als Lehrer. Das fordert auch von mir eine große Portion Konzentration, da nicht nur Schüler gerne reden, sondern auch Lehrer. 

Ich bin gespannt wie sich das Lernen in der neuen Gruppe entwickelt. 

Forschungsauftrag Fahrrad

Seit einiger Zeit arbeite ich mit meinen SchülerInnen im Physikunterricht mit Forschungsaufträgen. Ich möchte damit das selbstständige forschende Lernen fördern. Außerdem versuche ich das Lernen „umzudrehen“, d.h. ich gebe nicht mehr kleinschrittige Aufgaben vor, sondern die SchülerInnen bekommen eine Forschungsfrage und ich helfe ihnen, diese Frage zu lösen. Meine Aufgabe besteht dann darin,

  • impulsgebende Inputs zu machen
  • die Arbeit zu strukturieren
  • zu ermutigen, sich an die Arbeit zu machen (Schüler haben immer Angst, etwas falsch zu machen)
  • Tipps und Hilfestellungen zu geben.

Zu jeder Forscherfrage gehört eine feste Struktur:

  • Physikalische Größen und Begriffe müssen in einem Steckbrief erklärt werden
  • Es muss ein Versuch durchgeführt und protokolliert werden
  • Ein Informationstext zur Forscherfrage wird erstellt
  • Messwerte werden genommen und berechnet
  • Grafiken und Fotos werden erstellt

Die Kommunikation zu den Forschungsaufträgen läuft über unsere Lernplattform (Schulcommsy.de). Alle Aufgaben und Links sind hier verfügbar. Auch hier gilt die „Umkehrung“: Alles ist online verfügbar, die Schüler müssen es selbstständig nutzen, wann auch immer. Da gibt es auch keine Ausrede mehr, ich war krank oder habe das Arbeitsblatt nicht erhalten.

Dadurch ist für die SchülerInnen diese Methode doch etwas gewöhnungsbedürftig. Sie müssen sich erstmal aus der Rolle des Lernkonsumenten in den Lernkonstrukteur hineinfinden. Es verlangt auch eine höhere Aktivität von den Schülern, auch nicht immer gern gesehen bei den jungen Leuten.

Aber ich erfoffe mir langfristig eine höhere Motivation zum Lernen, weil die Selbstwirksamkeit größer ist. Man erstellt ein eigenes, individuelles Produkt, da vorgezeigt werden kann. Das Internet unterstützt dabei das Lernen sehr gut.

Hier der Forschungsauftrag Fahrrad.

 

 

Forschungsauftrag „Fahrrad Vers3