Ein ganzes Kollegium erstellt Lernumgebungen in Moodle

Der Dienstag nach dem Reformationstag in Hamburg. An der Reformschule Winterhude trifft sich das ganze Kollegium in der Aula, um gemeinsam Unterrichtsvorbereitung zu machen. Der Rahmen ist eine Ganztagskonferenz.

Dabei ist diese Unterrichtsvorbereitung etwas besonderes: Das Kollegium hat sich verabredet, Lernumgebungen in dem Lern-Management-System (LMS) Moodle zu erstellen. Dabei ist der Begriff „Lernumgebung“ neu. Der Begriff ist aus der Diskussion um Digitales Lernen entstanden und meint die digitale Bereitstellung aller Ressourcen für die Bearbeitung eines Themas oder einer Lerneinheit.

In der klassischen Schule war der Lehrende der Hüter der Lerneinheit, er/sie führte die Schüler*innen durch eine meist lineare Vergabe von Aufgaben durch die Einheit. An der Winterhuder Reformschule (WiR) wird schon seit Jahrzehnten in sog. Bausteinen gelernt, mit denen sich die Lernenden im eigenen Tempo und Auswahl der Aufgaben durch die Lerneinheit bewegen konnten. Meist waren diese Bausteine eine zusammengeheftete Sammlung von Arbeitsblättern, die nacheinander abgearbeitet wurden.

Die Digitalisierung brachte ganz neue Möglichkeiten. Gepusht durch die Pandemie, hat sich die WiR konsequent auf das Lernen mit digitalen Ressourcen umgestellt. 90% aller Schülerinnen und alle KollegInnen haben iPads, das Schul-WLAN ist für alle zugänglich. Alle in der Schule haben eine eigene Email-Adresse, für die Kommunikation nutzen wir iServ. Es fehlte noch eine passende digitale Lernplattform, das in der Anfangszeit der Corona-Pandemie genutzte Microsoft-Teams wurde vom Datenschutzbeauftragten verboten.

Vor einem Jahr einigte sich die Schulgemeinschaft, die Open-Source-Software Moodle als Lernplattform zu nutzen. Ein Jahr verging mit Skepsis, vorsichtigen Herantasten, Begeisterung bei einigen Kolleg*innen und auch grundsätzliche Debatten, ob wir nicht wichtigere Probleme lösen müssten. Jetzt nach dem Reformationstag war die Zeit reif, sich gemeinsam an die Arbeit zu machen. Die Aula wurde neben dem Plenum zu einem Co-Working-Space. Das Support-Team lief in gelben Westen umher, um schnell technische Tipps zu geben.

Die Vorerfahrungen mit Lernplattformen und digitalen Tools ist im Kollegium (wie wahrscheinlich in allen Schulen) sehr unterschiedlich. Trotzdem ist es an diesem Tag gelungen, ein Gefühl des „wir arbeiten alle zusammen an Lernumgebungen“ für unsere Schüler*innen. Schon die Vorbereitung und die Konferenzplanung lief über Moodle. In Austausch- und Wertschätzungsrunden wurde sich gegenseitig über das Geschaffte berichtet. Für einige Kolleg*innen war es der erste Kontakt mit Moodle, andere haben ihre schon vorhandenen Lernumgebungen verfeinert und die schier unerschöpflichen Möglichkeiten weiter ausgelotet.

In der Unterrichtspraxis läuft natürlich nicht gleich alles rund: Aber ist aus meiner Sicht auch ein wichtiges Signal an die Schülerinnen, dass auch die Lehrerinnen Lerner sind, die sich in die neuen Möglichkeiten digitaler Ressourcen einarbeiten.

In den Lernumgebungen im Moodle werden zwar alle Lernaufgaben und Aktivitäten bereitgestellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Lernenden nur alleine vor dem Gerät sitzen. Die Organisation der Beziehungen und Beratungen im Lernprozess ist jetzt die zentrale Aufgabe der Lehrer*innen geworden.

So hat uns der Reformationstag auch einen weiteren Schritt in der reformpädagogischen Entwicklung an der Reformschule Winterhude gebracht. Es werden noch viele weitere notwendig sein. Wir sind guten Mutes.

Lernstationen Geschichte: Vom Kriegsende bis zur Gründung zweier Deutscher Staaten

Ich möchte heute meine Lernstationen für den Jahrgang 10 einer Gesamtschule hier als OER zur Verfügung stellen.

Die Stationen können die SchülerInnen selbständig bearbeiten. Sie benötigen aber z.T. auch einen Computer und Internetanschluss. Die Lehrperson kann sich voll auf die individuelle Unterstützung bei der Arbeit konzentrieren sowie auch Diskussionen zum Thema anregen.

Ich habe parallel ein Wiki geführt, in dem die wesentlichen Inhalte festgehalten wurden.

Über Rückmeldung würde ich mich freuen.

Gründung 2er dt. Staaten Stationen

Brauchen wir eine digitale Didaktik?

Das Digitale sind ja erst einmal nur Geräte, die die Möglichkeiten der Kommunikation erweitern und den Zugang zu Informationen vergrößern.

Einen Didaktik sollte sich weniger aus den Gerätschaften, sondern mehr aus einem Menschenbild und den Vorstellungen, wie wir Menschen lernen, ergeben.

Trotzdem werden die Möglichkeiten des Internets die Kommunikation und die Informationsbeschaffung verändern. Deshalb sollten unsere „analogen“ Didaktiken ergänzt und erweitert werden, genauso wie unser alltägliches Leben durch die digitalen Möglichkeiten erweitert wird.

Nur eines scheint mir klar: Das Internet ist fakt, ist nicht wegzudiskutieren. Deshalb ist die Ausklammerung des Internets aus der Schule, wie es häufig noch der Fall ist, wenig hilfreich und an der Realität vorbei. Die Frage ist eher, wie man mit der Realität des Internets sinnvoll umgeht. Wie alle Innovationen hat auch das Internet positve Möglichkeiten wie auch Gefahren. Und eine um das digitale erweiterte Didaktik sollte die positiven Möglichkeiten aufgreifen. Man wird ja auch nicht den Buchdruck verteufeln, auch wenn mir dieser Technologie „Mein Kampf“ gedruckt wurde, und keiner wird heute auf die Satelitenbilder in der Wettervorhersage verzichten wollen, auch wenn die Raketentechnologie für militärische Zwecke genutzt werden kann.

Auch im digitalen Lernen gehe ich von der konstruktivistischen Sichtweise davon aus, dass sich alle Menschen ein Bild von der Wirklichkeit in ihrem Bewusstsein konstruieren. Diese individuelle Sichtweise wurde schon vor dem digitalen Zeitalter entwickelt und hat zur Folge, dass Lernende (also wir alle) möglichst vielfältige Informations- und Verarbeitungsmöglichkeiten nutzen sollten, die möglichst ihren Potentialen entsprechen. Auch Schulbücher versuchen heutzutage differenzierte Lernmaterialien zur Verfügung zu stellen. Das Internet erweitert diese Möglichkeiten noch einmal deutlich.

Die Verfügbarkeit des Wissens beschränkt sich heute nicht mehr auf ein Lehrbuch und einen Brockhaus und der Worte des Lehrers, sondern das Wissen ist potentiell immer im Internet vorhanden. Die neue Herausforderung an eine Didaktik wird sein, dass das Internetwissen nicht immer in einer günstig didaktisierten Form vorliegt. Hier werden also weiter Lehrende gebraucht, die selber Material didaktisieren oder den Lernenden dabei hilft, Internetwissen sinnvoll für ihre Lernbedürfnisse aufzubereiten. Dabei spielen kollektive Lernprozesse eine wichtige Rolle. Diese sind auch keine Erfindung des Digitalen, bekommen aber durch die Informationsfülle des Internets einen neue Bedeutung und müssen in einer digitalen Didaktik eine besondere Rolle spielen. Das Internet bietet eine Fülle von Möglichkeiten, kollektiv Lernergebnisse zu erarbeiten: Wikis, Blogs, Etherpads usw.

Internet basiertes Lernen ermöglicht neue Wege im individualisierten Lernen. Es können verschiedene Wege genommen werden, und dank interaktiver Tools können die Ergebnisse zusammenfügt und verglichen werden. Wie das gehen kann, sollte in einer digitalen Didaktik beschrieben werden. Portfolios und Lerntagebücher sind keine Erfindung der digitalen Welt, ermöglichen jedoch kreativere Gestaltungen.

Mit digitalen Tools können leichter den je eigene Lernprodukte hergestellt und veröffentlicht werden. Das ermöglicht ganz neue Perspektiven, wenn Lernende eigene Produkte vorstellen und teilen können und Lehrende eigene Lernmaterialien – ev. auf Basis anderer OER-Materialien – herstellen.

Das selbstständige Lernen hat neue Perspektiven mit digitalen Tools. Wenn man die Lernorganisation über digitale Lernplattformen durchführt, dreht sich die Verantwortung für das Lernen um: Vom Lehrenden zum Lernenden. Nicht mehr der Lehrende ist dafür verantwortlich, dass der Lernende die Aufgaben „bekommt“, sondern der Lernende holt sich die Aufgaben bei der Lernplattform ab. Es ist also ein Wechsel vom passiven „Bekommen“ zum aktiven „Holen“. Das trifft bei traditionell schulsozialisierten Schülern nicht immer auf Gegenliebe. Die Nieschen und Lücken, die ein traditioneller Schulbetrieb bietet fallen weg. Ein aktiver Lernpart bei den Schülern kann für sie durchaus anstrengender sein.

Fazit: Die digitalen Möglichkeiten müssen bestehende Didaktiken ausdifferenzieren und ergänzen. Sie erweitern die Möglichkeiten, ohne die Grundprinzipien des Lernens komplett auf den Kopf zu stellen. Deshalb hat das digitale Lernen keinen Selbstzweck, es ist auch nicht „moderner“. Ich glaube jedoch, dass es die Möglichkeiten deutlich erweitert.

 

OER in der Schule: Schülerarbeiten veröffentlichen

Welche didaktischen Perspektiven bietet OERin den Schulen? OER-Programm-Logo klein

Ich sehe neue Perspektiven in der Veröffentlichung von Schülerarbeiten im Internet. Normalerweise werden Hausarbeiten, Projektarbeiten, Portfolios usw. abgegeben und vom Lehrer bewertet, die Note in die Liste eingetragen und den Schülern zurück gegeben. Dann wandern sie bestenfalls in den Papiermüll.

Sollten Schülerarbeiten nicht mehr wertgeschätzt werden? Sollte die Idee der kollektiven Anreicherung von Wissen, das durch Ideen wie Wikipedia im Internet Wirklichkeit geworden ist, nicht auch in der Schule angewendet werden? Bekommen die Arbeiten der Lernenden nicht auch einen neuen Wert, wenn klar ist, sie werden veröffentlicht und stehen anderen Lernenden zur Verfügung? Ich glaube, mit einer Veröffentlichung ist auch eine andere Wertschätzung verbunden, die eine verbesserte Motivation zum Lernen ermöglicht.

Analog kann man gute Schülerarbeiten kopieren und in Ordnern bereitstellen: für nachfolgende Schülergenerationen. Das Internet bietet dafür aber viele Möglichkeiten, Arbeiten bereit zustellen und zu nutzen. Das einfachste ist es, digitale Schülerarbeiten auf dem Schulserver zu lagern und allen Schulmitgliedern zur Verfügung zu stellen. Außerhalb der Schule kann man die vorhandenen Referatsplattformen, eigene Blogs, die Schulhomepage u.ä. benutzen. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob eine schulinterne oder weltweite Veröffentlichung sinnvoll ist.

Durch eine Veröffentlichung von Schülerarbeiten lässt sich eine Lernkultur weiterentwickeln:

  • Es wird deutlich, dass Lernen nicht nur ein individueller Prozess, sondern dass Lernen auch ein Beitrag zum kollektiven Wissen sein kann.
  • Es kann eine neue Motivation entstehen, wenn Arbeiten nicht nur „für den Lehrer“, sondern auch für andere Schüler und nachfolgende Lernergenerationen. Schülerarbeiten bekommen einen Wert über die Note hinaus.
  • Veröffentlichung von Schülerarbeiten macht eine Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht und dem korrekten Entnehmen und Zitieren der benutzen Quellen nötig.
  • Das Veröffentlichen macht eine Diskussion über die Fehlerkultur nötig: Schülerarbeiten sind natürlich nie perfekt, aber sie können von anderen aufgenommen werden und verbessert werden.
  • Es wird ein kritischer Umgang mit Quellen nötig. Für die Schüler wird einsichtiger, den Wahrheitsgehalt von Quellen kritisch zu überprüfen.

Für die Veröffentlichung bietet sich die Idee von Open Education Ressources unter einer offenen cc-Lizenz an. Dann können Schülerarbeiten auch von anderen weiterverwendet werden, natürlich nur unter voller Namensnennung und Quellenangabe.

Ein Beispiel:

Vor der Hamburger Bürgerschaftswahl hat meine 12. Profilklasse eine Podiumsdiskussion organisiert. Die Schüler haben viele Erfahrungen im Veranstaltungsmanagement gemacht und alles selbstständig vorbereitet. Ich glaube, sie haben wichtige Erkenntnisse im Bereich „Partizipation am politischen Prozess“ (wie es der Bildungsplan fordert) gemacht.

In der Nachbereitung hatte jede Gruppe die Aufgabe, eine Checkliste zu ihrer Arbeit zu erstellen und eine Reflexion der Vorbereitung zu schreiben. Diese Nachbereitung fügen wir dann in eine Manual für die Organisation von Podiumsdiskussionen zusammen, so dass bei den nächsten Diskussionen die Vorbereitungsgruppen eine Arbeitsgrundlage haben.

Diese Arbeitsdukumentation ist natürlich nicht perfekt, sie kann aber durch nachfolgende Schülergruppen verbessert werden. Dadurch wird deutlich, dass Schule nicht nur ein individuelles Aufnehmen von Wissen ist, sondern gleichzeitig auch Wissen und Erfahrungen produziert. Ich glaube, in der Veröffentlichung von Schülerarbeiten auf Grundlage von OER hat einen deutlichen didaktischen Mehrwert.

Hier das Manual zur Podiumsdiskussion:

Manual Podiumsdiskussion

Forschungsplan Elektrik

Phy10I Commsyraum

Das Arbeiten mit Forschungsplänen finde ich zunehmend eine gute Möglichkeit, einen kompromiss zwischen individualisierten Lernen, das jedem Lernenden eine eigene Geschwindigkeit und Schwerpunktsetzung zu ermöglichen, und andererseits Orientierung und klare Instruktionen durch Aufgaben zu geben. Ich versuche alle relevanten Informationen in den Lernplaner zu schreiben, damit ich möglichst wenig Zeit mit frontalen Ansagen, die oft nur die Hälfte der Klasse mitbekommt, zu verbringen. Wenn Schüler zu Müde sind zuzuhören (was in der ersten Stunde leider sehr häufig vorkommt), dann kann ich ihn zum nachlesen immer auf den Forschungsplan verweisen.

Alle Informationen, wie auch den Forschungsplan, finden die Schüler auch online in dem virtuellen Klassenraum. Hier kann alles nachgelesen werden. Zusätzliche Arbeitsblätter können heruntergeladen werden. Eine Standardseite ist immer die Linkliste für wichtige Internet-Links.

Da ich kein Physikbuch für die Schüler habe, arbeite ich zusätzlich mit einem wiki. Hier stelle ich die inhaltichen Informationen ein. Der Forschungsplaner ist ja wie ein Logbuch durch die Unterrichtseinheit, er enthält aber keine Fachinformationen. Die gebe ich neben den altbekannten Kopien v.a. über das wiki. Hier stelle ich auch abfotografierte Tafelbilder ein sowie Informationen aus dem Internet. Dabei spielt natürlich das Copyright eine wichtige Rolle. Ich kann nur Kopieren, was eine offene Lizenz hat, und das ist oft ohne weiteres gar nicht erkennbar. Alle Informationen mit einem c kann ich nur verlinken.

Featured image

Parallel zur Arbeit im Unterricht schreiben die Schüler ein Lerntagebuch. Dieses ist dann der Lernnachweis für die Bewertung. Das Raster für die Bewertung ist im Lernplaner enthalten. Das Lerntagebuch ermöglicht persönliche Schwerpunkte und Gestaltungsmöglichkeiten.

Ich glaube, ein Forschungsplaner bietet viele Möglichkeiten des individualisierten Lernens. Viele Schüler müssen sich erst noch daran gewöhnen, selber entscheiden zu müssen wie sie etwas lernen. Einigen Schülern fällt das auch sehr schwer,  sich von der genauen Ansage des Lehrers zu lösen. Sie fragen immer wieder „wie sollen wir das machen?“, und ich antworte: „überlege doch mal selber, wie du es machen würdest“. Ich sehe meine Aufgabe als Lehrer ja in erster Linie darin, die Schüler zum Denken zu bringen.

Das Lerntagebuch kann genutzt und verändert werden (cc-Lizenz mit Namensnennung und gleicher Weiterverbreitung). Über Rückmeldungen würde ich mich freuen. Die Versuchsbeschreibungen muss jeder nach seine örtlichen Bedingungen einfügen. Die von mir genutzten Experimentierkästen sind von Mekruphy, deren Anleitungen aus c-Gründen nicht mit veröffentlicht werden können.

Elektrik Forschungsplan

OER und Fehlerkultur

Potentiale entdecken oder Fehler anstreichen? Was soll ich als Lehrer machen?

Die Klausurensaison hat nach den Herbstferien wieder begonnen. Zwischen Oktober und Weihnachten brummen bis zu drei Klausuren wöchentlich durch die Klassenräume. Und dann werden an den heimischen Schreibtischen wieder tausende von Fehlern angestrichen und sich in Lehrerzimmern über die unfassbare Menge von Fehlern aufgeregt.

Dabei weiß der humanistisch eingestellte Lehrer schön länger, und der an neurobiologischen Forschungen interessierte Kollege seit kürzeren, dass eher die Ermutigung und das Unterstreichen des Guten und Besonderen die Lernmotivation und das Selbstvertrauen stärkt. Lob und Bestärkung sind kräftige Rückenwinde im Lernalltag.

Und Fehler? Aus denen lernt man bekanntlich. Für den selbstbewussten Lerner können sie ein Ansporn sein, für den Zögerlichen niederschmetternd. Der eine lehnt sich bei viel Lob selbstgefällig zurück, der andere schöpft Energie für das nächste Lernprojekt. Was also tun?

Ich glaube, das Bestärkung und Potentialförderung genau so wichtig sind wie Kritik und Fehlerbenennung. Das Verhältnis zwischen beiden Polen ist individuell, und es abzuwägen bleibt die Lehrkunst des Pädagogen. Das ist auch eines der Gründe, warum die Lehrer trotz aller Digitalisierung, Internetressourcen und MOOCs nicht überflüssig werden. Sie sind, finde ich, nötiger denn je, um Orientierung in der wilden weiten Lernwelt zu geben.

Freie Bildungsmaterialien bieten viele Chancen, beide Pole bei der Erstellung von schönen Lernprodukten zu bedienen – und damit einen guten Lernerfolg zu erzielen. Lernprodukte werden von Lernenden erstellt, die noch unvollkommen sind (also viel Potential enthalten, aber noch mit Fehlern versehen sind). Wir stellen sie bewusst unvollkommen als OER zur Verfügung, damit sie andere Lernende aufnehmen und verbessern. So entsteht ein kollektiver Lernprozess der dauerhaften Verbesserung. Dieses Prinzip ist analog wie digital möglich, die digitale Bearbeitung kann aber eine Überarbeitung erleichtern. Auch funktioniert es von der Dreiergruppe im Klassenraum bis hin zum www.

Eine einfache Möglichkeit zur Erstellung von Lernprodukten sind wikis. Ich erstelle ein wiki in meiner Klasse zu einem Thema. Alle in einer Klasse führen ein gemeinsames wiki zu dem bearbeiteten Thema wie ein gemeinsam erarbeiter Wissenspeicher, der sich kontinuierlich füllt. Als Lehrender gebe ich die Stuktur, die dann von den Lernenden gefüllt wird. Jeder muss sich beteiligen. Dabei ist die kritische Auseinandersetzung mit dem schon vorhandenen nötig, eben auch das Erkennen und Verbessern von Fehlern.

Ich merke bei dieser Arbeit, wie festgefügt die Kultur ist, dass nur der Lehrer Fehler identifiziert und „anstreicht“. Bisher haben meine Schüler eine große Scheu, sich mit dem von anderen geschriebenen auseinander zusetzen und zu verändern und zu verbessern. Aber ich glaube gerade in dieser Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen in einer kritischen Weise (eben nicht nur in einer Adaption wie aus dem Schulbuch) bietet eine vertiefte Beschäftigung mit dem Thema und ein nachhaltiges Lernen. Aber die Schüler trauen sich noch nicht recht.

Dabei ist das Prinzip der kollaborativen Problemlösung heute nicht mehr wegzudenken. Welche (globalen) Probleme können heute noch von einzelnen gelöst werden? Ohne das Potential von vielen werden große Herausforderungen nicht zu meistern sein, aber auch nicht ohne die kritische Sicht auf die Fehler.

Ich möchte also meine Schüler zu einer kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung mit den Lernprodukten von anderen ermutigen – im Sinne von „open“, die eigenen Lernprodukte für eine Weiterentwicklung zur Verfügungen zu stellen. Und ich möchte mich selbst weiter in einem pädagogischen Umgang mit Potenialen und Fehlern weiterentwickeln.

OER Camp in Köln

Ich komme zurück nach Hamburg vom OER Camp und dem learnlab an der Kaiserin Augusta Schule am Freitag. Zeit Tage voller Eindrücke und Inputs, voller Gespräche und Gedanken.  Die Chancen und Möglichkeiten des Lernens mit dem Internet wurden über zwei Tage ausgelotet und vermessen. Zwei Tage sitzen oder stehen, schauen auf smartphone und Tablett, auf Twitterwalls und Notebook Bildschirme. Fünf Stunden im IC mit langen Verspätungen.

Jetzt sehne ich mich nach Bewegung und Sport, nach Natur und draußen sein, nach dem Geruch des Herbstes, den Farben des Laubes, und das alles ohne irgendwelche Bildschirme und Beamer.

Trotz aller Begeisterung für das Lernen mit dem web 2.0 gibt es auch ein sinnliches Leben ohne Bildschirme. Lasst uns diese Welt den Schülern zeigen, in dem wir mit ihnen im Frühnebel joggen gehen, mit dem Bestimmungsbüchern in der Hand durch Wälder streifen und das farbige, nasse Herbstlaub hochwerfen. Ohne sinnliche, unmittelbare Erfahrung kann das lernen im web 2.0 nicht funktionieren.

Für eine Vielfalt des Lernens!

Lernprodukte mit OER

Referate, Hausarbeiten, Plakate, Präsentationen – Alltag in den Schulen seit Jahren. Die Plakate verstauben auf den Klassenschränken und werden am Schuljahresende weggeschmissen, Referate gehalten und nach Erhalt der Zensur vergessen, Hausarbeiten mit Glück von den Lehrerinnen und Lehrern gelesen, mit dem Ziel, eine Note zu vergeben. Mit Glück kommt ein Plakat mal eine eine Klassen- oder Schulwand.

Dabei haben viele Produkte von Schülern es verdient, mehr gewertschätzt zu werden als nur durch eine Note. Das Internet bietet nun viele Möglichkeiten, Arbeiten von Schülern zu veröffentlichen und mehr Menschen zu präsentieren. „Lernen sichtbar machen“, wie John Hattie nach seiner Auswertung von tausenden von Studien fordert, könnte so verwirklicht werden. Der einfachste Schritt ist natürlich eine Veröffentlichung auf der Schulhomepage. Ich habe für meine Klasse ein WordPress-Blog aufgelegt, in dem wir Lernprodukte veröffentlichen. Dieser ist dann mit der Schulhomepage verlinkt.

Aber bei jeder Veröffentlichung im Internet kommt man mit dem Copyright in Berührung. Das in der Schule übliche kopieren und neu zusammensetzen von Lernmaterialien, von Lehrerinnen und Lehrern bei der Gestaltung von Arbeitsblättern täglich praktiziert, geht bei einer Veröffentlichung im Internet natürlich nicht mehr. Veröffentlichen macht es notwendig, sich über das Urheberrecht mit den Schülerinnen und Schülern genau auseinanderzusetzen. Das beliebte Copy and Paste geht dann nicht mehr.

Ich halte die Notwendigkeit, nur eigene Produkte zu verarbeiten, für einen wichtigen Lernschritt. Die Umwandlung von Gelesenem in ein eigenes Produkt ermöglicht ein „vertieftes Verarbeiten“, das ein nachhaltiges Lernen, das über den nächsten Test-Termin hinausgeht, möglich. Trotzdem gibt es Inhalte, besonders Fotos, Grafiken und Videos, die sinnvoll in ein eigenes Lernprodukt eingebunden werden sollte.

Hier kann man dann nur freie Materialien nehmen, die zur Weiterverwendung lizensiert sind. Hier setzt das Konzept Open Education Ressorces an. Freie Bildungsmaterialien sind ausdrücklich für die Weiterverwendung freigegeben. Sie können bei Namensnennung und Quellenangabe für eigene Lernmaterialien verwendet werden.

Das Herstellen von eigenen Lernmaterialien und deren Veröffentlichung kann ein wichtiger Schritt für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen sein und eine stärkere Identifikation der Lernenden mit ihrer Arbeit ermöglichen.

Ich werde an dieser Stelle weiter über praktische Beispiele von Lernprodukten berichten.

 

OER-Konferenz 14: (Digitales) Lernen in der Schule mit OER

Am 13.09.2014 habe ich auf der OER-Konferenz in Berlin, die von wikimedia organisiert wurde, einen kleinen Vortrag zu meinen Vorstellungen zu den Möglichkeiten gehalten, freie Bildungsmedien in der Schule zu nutzen. Ich lade hier die Präsentation und den Text des Vortrages zum Nachlesen hoch. Im Verlauf der Konferenz und in den vielfältigen Workshops und Sessions ist mir aus Sicht eines Lehrenden deutlich geworden, dass freie Bildungsmaterialien die klassischen Schulbücher nicht ersetzen, aber gut ergänzen können und zu einer Erweiterung der Möglichkeiten des Lernens darstellen. Ich habe die These formuliert, dass freie Bildungsmaterialien nicht „per se“ gut sind, sondern erst innerhalb eines didaktischen Konzepts wirksam sind. Dazu gehört v.a. die Möglichkeit, Lernmaterialien durch Lernende zu erstellen und wieder zu veröffentlichen, um Lernen sichtbar zu machen. Das verlangt wiederum, dass wir in der Schule auch eine „Freude am Unperfekten“ entwickeln, was dann allerdings auch ein Überdenken der „Fehlerkultur“ an der Schule nötig macht. Dazu im Vortragstext mehr. OER-Konferenz Hillebrecht OER Vortrag

OER in der Schule?

Brauchen wir Open Education Ressources an der Schule?

Warten Lehrer und Schüler eigentlich auf OER?

These: OER sind nur sinnvoll, wenn sie eine positive Weiterentwicklung der Lernkultur ermöglichen.

Können freie Internet-Inhalte die subjektive Konstruktion von Wissen bei den einzelnen SchülerInnen fördern?
Wenn freie Bildungsinhalte zur Verfügung stehen, können Lernende diese direkt für sich benutze und weiter verarbeiten. Sie können sie in eigene Lerntagebücher, Heften, wikis oder Portfolios einfügen, ohne eine Urheberrechtsverletzung zu begehen. Ich glaube, dass die subjektive Re-Konstruktion von Wissen ein wirksames Lernen ermöglicht. Dabei spielt das eigene Bearbeiten eine große Rolle, und nicht nur das „Abschreiben“.

Können freie Internet-Inhalte selbst gesteuerte, autonome Lernformen fördern?
Freie Bildungsinhalte sollten nicht nur einen Informationsinhalt haben, sondern auch methodische Vorschläge für die Bearbeitung enthalten. Es wäre ein echter Fortschritt in der Autonomie des Lernens, wenn die Lernenden unabhängiger, freier, selbstständiger Agieren können. Ich glaube, dass die SchülerInnen in der Schule heute noch in extremer Unselbstständigkeit gehalten werden (Hausaufgaben werden „aufgegeben“) und sie darauf oft mit Verweigerung reagieren (eben keine Hausaufgaben machen, oder sie aus Angst vor Repression, dem Strich im roten Lehrerbüchlein, widerwillig machen). Offene Bildungsmaterialien sollten neben Inhalten auch Bearbeitungsmöglichkeiten anbieten, die die Lernenden selbst aussuchen können.

Ermöglichen freie Inhalte kooperatives Lernen?
Gemeinsam neue Produkte herstellen ist ein wichtiger Lernprozess. Im Team ein Projekt arbeitsteilig bearbeiten und ein gemeinsames Ergebnis produzieren scheint mir für die Vorbereitung auf das Leben wichtiger zu sein als individuelles Pauken. Die Dominanz des individuellen Lernens hat ja seinen Grund eher in der besseren Prüfbarkeit in der Schule.
Wenn Inhalte frei zu Verfügung stehen für die Weiterverarbeitung, bieten sie viele Möglichkeiten kooperativen Lernens. Ich glaube, dass hier freie Bildungsmaterialien ihre Stärke zeigen können.

Bieten freie Bildungsmaterialien Übungsmöglichkeiten, die die Lernenden selbstständig nutzen können?
Das wäre zu hoffen. Gerade mit der Perspektive des „lebenslangen Lernens“ bekommt der Aspekt selbstständige Übungsmöglichkeiten ein neues Gewicht. Hier wurde in der Session besonders auf die Kölner Geschichtsplattform „segu Geschichte“ hingewiesen. Es wäre erfreulich, wenn weitere Übungsmöglichkeiten

Geben freie Bildungsmaterialien die Chance, das Prüfungssystem zu verbessern? Ist eine Prüfungssituation ohne Nutzung des Internets nicht gerade kein „Lernen für das Leben“?
Das ist wohl noch sehr unklar. In der Schule werden ja Prüfungen für die Lernrückmeldung und für die Selektion benutzt, zwei sehr unterschiedliche Zielsetzungen. Lernrückmeldungen im Internet sind meines Wissens noch ein Neuland und beschränken sich auf Anklicklisten. Hier wäre sicher noch Arbeit zu leisten.

Können freie Bildungsmaterialien die Qualität des Lernens im Vergleich zu der Arbeit mit Schulbüchern verbessern?
Freie Bildungsmaterialen bieten nicht automatisch die Garantie für eine verbesserte Qualität. Auf der Session im educamp Berlin 13 wurden abschreckende Beispiele aus Südkorea berichtet. Die Teilnehmenden an der Session schätzten eher ein Nebeneinander von Schulbuch und freien Ressourcen aus dem Internet als Szenario für die nahe Zukunft als wahrscheinlich ein. Im Moment ist wohl die Stadt Köln am weitesten, Möglichkeiten für OER an den Schulen bereit zu stellen.

Die Idee, ein Qualitätslabel für OER zu vergeben, wurde auf der Session als eher unrealistisch eingeschätzt. Wenn etwas permanent veränderbar ist, kann man dafür kein „festes“ Label vergeben. Für die Beurteilung der Qualität muss die professionelle Beurteilungskompetenz des Lehrenden gerade stehen. Es wurde deutlich gemacht, dass für von LehrerInnen erstellte Materialien keine Genehmigung von der Schulaufsicht nötig ist, solange sie nicht in Buchform veröffentlicht werden.

Die Beurteilung der Qualität von Inhalten, Aufgaben und Lernarrangements ist ja die tägliche Aufgabe von Lehrenden, auch in der analogen Buchwelt. Man muss dauernd bewerten, welche Materialien man auswählt, auch aus Büchern. Das wird sich in der Internetwelt nicht ändern. Der Vorteil offener Bildungsmaterialien besteht darin, dass man vorhandenes verändern, ergänzen, gestalten kann.

Wird Selbstwirksamkeit für die Schüler mehr spürbar durch freie Bildungsmaterialien?
Die Möglichkeit, Bildungsinhalte aus dem Internet zu nehmen und unter einer eigenen Fragestellung neu zu verarbeiten, um damit ein neues, eigenes Produkt (Portfolio, Themenarbeit, Präsentation usw.) zu gestalten, ist sicher eines der großen Chancen von offenen Bildungsressourcen. Wenn es beim Lernen nicht nur um das „Nachvollziehen“ und „Stofflernen“ geht, kann eine Selbstwirksamkeit beim Lernen durch OER sicher erfolgreich eingesetzt werden. Die Möglichkeiten, eigene neue Produkte herzustellen, ist dann sicher grenzenlos und bieten viele Möglichkeiten der subjektiven Konstruktion von Wissen und Bildung.

Lernkultur?
Wie alle Kulturen, der Art, wie Menschen zusammen leben und arbeiten, wird sich die Lernkultur immer wandeln und weiter entwickeln. Sie ist auch immer ein Abbild der Gesellschaft, in der wir leben. In den letzten Jahren haben besonders die neuen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, die Erkenntnisse der Hirnforschung und auch konstruktivistische Vorstellungen die Lernkultur beeinflusst. Die Entwicklung der Lernkultur ist ein dauernder Wandlungsprozess (the road of learning is permanent under construction, Andreas Müller). Ich finde es erfreulich, dass dieser Prozess nicht mehr so stark unter ideologischen Gesichtspunkten diskutiert wird wie in den neunziger Jahren, als sich die Anhänger des gegliederten und des Gesamtschulsystems unversöhnlich gegenüber standen. Es ist erfrischend, dass es jetzt um die Möglichkeiten, und weniger um die richtigen Methoden geht.