08.15 am U-Bahnhof. Telefonnummern austauschen, letzte Instruktionen und Fragen, dann gehen sie in Dreiergruppen los ins Projekt. Ich fahre an die Elbphilharmonie und setze mich mit schönem Blick an meinem Arbeitsplatz. Kontakt habe ich mit meinen Schülern nur über das Smartphone. Projekt Hafen.
Die Schüler des Projektkurses Hamburg#Welt haben ihre Fragelisten in der Tasche und ziehen auf ihre Tour, um eigenständig Informationen zu ihrem Thema zu sammeln. Sie gehen selbstständig in die Museen, Polizeidienststellen oder Behörden. Für die meisten ist diese Freiheit ungewohnt, sind sie doch die direkte Instruktion im Unterricht seit Jahren gewohnt. Sie sind ungeübt darin, eigene Entscheidungen zu treffen. Aber genau das ist es, was die jungen Leute der 9. Klasse brauchen: das Gefühl der Autonomie, Möglichkeiten eigener Wahl, Verantwortung für das eigene Tun übernehmen.
Wir haben sechs Teams gebildet. Jedes Team bearbeitet eine Route im Hafen und dokumentiert alles Wichtige auf dieser Strecke und erklärt es für Auswärtige. Dazu hat jedes Team noch ein übergreifendes Thema:
- Globalisierung
- Berufe im Hafen
- Geschichte des Hafens
- Umweltschutz und Elbvertiefung
- Container
Ziel ist ein gemeinsames eBook zu erstellen. Es soll sich an einem kleinen Reiseführer orientieren. Die Schüler zeigen alles Sehenswerte auf einer Route im Hafen und erklären darüber hinaus noch ein Thema.
Fachlich stehen die Themen Globalisierung, Welthandel, technologischer Wandel, die klassischen Erdkundethemen, auf der Agenda.
Aber im Vordergrund steht das Arbeiten im Projekt: die Schüler können lernen, ihr eigenes Arbeiten zu organisieren, Selbstständigkeit zu entwickeln. Wir Lehrer beklagen ja oft, dass die Schüler zu unselbständig sind, geben ihnen aber selten Gelegenheit, diese Selbstständigkeit zu entwickeln. Dazu müssen wir aber eigene Gewohnheiten von Effizienz und Strukturiertheit hinten anstellen. Wir müssen es aushalten, dass Schüler nicht so strukturiert und effizient sind, wir ein professioneller Unterricht. Aber genau den Weg der Erfahrung müssen sie ja gehen.
„Erfahrungen machen“ ist eine seltene Kategorie in der schulischen Bildung. Es geht eher um Wissen, Können, manchmal schon um Kompetenzen. Erfahrungen beinhalten auch Umwege, Fehler, Scheitern, Überraschungen, Probleme. Aber auch neue Perspektiven, Erkenntnisse, Selbstwirksamkeit. Erfahrungen sind das, was uns weiterbringt. Bei Bewerbungsgesprächen wird ja meistens nach den Erfahrungen gefragt und nicht nach Wissen.
Trotzdem spielen Erfahrungen im schulischen Lernen noch eine untergeordnete Rolle. Das möchte ich mit dem Projektkurs ändern. Dabei muss ich es selbst aushalten, wenn das Schülerhandeln nicht so effektiv ist wie in einem linearen, kursartigen Unterricht. Ich muss es aushalten, wenn die Schüler_innen ihre Freiheit ausnutzen, um andere Dinge zu machen. Aber die Erfahrung, dann mit den Aufgaben nicht richtig voranzukommen, gehört zu den Erfahrungen auch dazu.
11 Uhr, mein Handy klingelt. Die Gruppe „Umweltschutz“ meldet sich. Der Termin bei der Hamburg Port Authority ist beendet. Eine Stunde lang haben sich die Jungen von einer Ingenieurin über die Landstromanbindung für Kreuzfahrtschiffe und die Elbvertiefung informieren lassen. Im Projekt kommen die Informationen möglichst nicht von mir als Lehrer, sondern von „realen“ Experten. Auch das ist eine ganz neue Erfahrung für die Schüler_innen.