Die letzte Stunde beendet, die letzte Präsentation wurde gehalten, um die letzten Punkte gefeilscht: Das 4. Semester ist beendet, in einer Woche beginnen für die SchülerInnen die ersten Abiklausuren. Das erste Mal werden sie in Hamburg in allen Fächern zentral gestellt.
Zeit zurückzublicken. Habe ich meine SchülerInnen gut auf das Abitur vorbereitet?
Zuerst: Alle in meiner Klasse hatten in der 4. Klasse keine Gymnasialempfehlung, d.h. sie gingen auf die Gesamtschule, die in Hamburg heute Stadtteilschule heißt. Allein dass sie es bis zum Ende des 4. Smesters geschafft haben, ist ein Erfolg. Am Ende der 4. Klasse wurde es ihnen nicht zugetraut.
Seit Beginn der Profilklasse im 1. Semester der Studienstufe habe ich auf das selbstständige und möglichs selbstorgansierende Lernen gesetzt. Ich habe gleich das Unterrichtsgeschehen über einen Lernportal organisiert (www.schulcommsy.de) und habe die Unterrichtsinhalte in wikis
http://www.schulcommsy.de/wikis/276082/3264314/index.php?commsy_session_id=d378bbf489bef57b35ab0c54abc81690
dokumentiert. Diskussionen und Außendarstellung der Klasse fand über den Weblog statt.
Aufgaben, Termine, Materialien und die Begleitung von Aufgaben in Diskussionen fand über den Klassenraum im Schulcommsy statt. SchülerInnen „bekamen“ nicht mehr die Aufgaben und Materialien, sondern sie mussten sie sich holen. So wurde die Verantwortlichkeit für das Lernen umgedreht, eine höhere Aufforderung zur Selbstständigkeit verlangt.
Ich würde diesen Weg weiter gehen. Ich glaube, dass die SchülerInnen dadurch ein höheres Maß an Selbstverantwortung erlangt habe. Trotzdem sind 10 Jahre klassische Schulerfahrung am Ende der Schulkarriere kaum aufzuholen. Schule und Lernen ist immer noch oft eine passivie, nehmende, konsumierende Tätigkeit. Sie ist meist auch fremdbestimmt: Der Lehrer sagt, was gemacht wird. Hier sehe ich durch das Lernen im Internet große Möglichkeiten, das Lernen selbstbestimmter zu gestalten.
Man kann sich natürlich fragen, ob selbstverantwortetes Lernen eigentlich einen pädagogischen Wert darstellt. Ich denke schon! Nach dem Besuch der Uni-Tage wurde es meinen SchülerInnen selbst deutlich. Sie berichteten von einem großen Durcheinander, schlecht organisierte Veranstaltungen, drangvoller Enge. Meine Antwort darauf war: „Das ist genau der Grund, warum ich Euch zum selbstständigen Lernen bringen möchte. Im Chaos braucht ihr die Fähigkeit, euch selbst Ziele und Wege zu ermitteln“
Ich habe von Anfang an mit einer Lernplattform, Schulcommsy.de, gearbeitet. Alle Informationen, Aufgaben, Termine und Diskussionen liefen über diese Plattform. Sie ermögliche es den SchülerInnen, selbstständig sich über Aufgaben, Materialien und Termine zu informieren. Ich habe versucht, das Lernen „umzudrehen“: Ich stelle Aufgaben und Lernmöglichkeiten zur Verfügung, die SchülerInnen holen sich selbstständig diese und planen ihre Bearbeitung.
Die Aufgaben wurden meist nicht als Einzelaufgaben gestellt, sondern in sog. „Arbeitsplänen„. Diese umfassten zu einem Thema mehrere Aufgaben mit unterschiedlicher Arbeitsform, um das Thema zu erarbeiten. Die SchülerInnen bearbeiteten den Arbeitsplan selbstständig und legten ihn bei Fertigstellung vor. Es gibt keine Unterscheidung mehr zwischen Unterrichtsaufgaben und Hausaufgaben. Das hat den Vorteil, dass die SchülerInnen ihre Arbeit selbst einteilen müssen und können. Die Aufgaben werden in einen größeren thematischen Zusammenhang gebracht. Und für mich als Aufgabenersteller hat es den Vorteil, dass ich jede Aufgabe nicht isoliert sehe, sondern in einem Kontext mit anderen Aufgaben.
Das wiki haben wir in erster Linie als Wissensspeicher genutzt. Es war ein gemeinschaftliches Protokoll der Lernarbeit in der Klasse. Oft habe ich als Hausaufgabe einen Eintrag ins wiki gestellt. Gerade für die Erklärung von Fachbegriffen zum Nachschlagen ist das wiki gut geeignet. Die Beiträge wurden additiv nebeneinander gestellt. Die Einträge von anderen zu ergänzen oder zu verbessern, trauten sich die SchülerInnen noch nicht.
Der blog wurde in erster Linie zur Außendarstellung und zum Diskutieren genutzt. Meist wurden aktuelle Themen zur Diskussion gestellt und dann über die Kommentarfunktion diskutiert. Der Vorteil ist, dass immer der vorhergehende Kommentar eingesehen werden kann. Das war aber ein langer Lernweg für meine SchülerInnen, nicht nur die eigene Meinung zu sehen, sondern auch auf das einzugehen, was andere sagen. Aber das genau soll ja auch gelernt werden.
Ein Schwerpunkt im Profil der letzten zwei Jahre waren die Semesterprojekte. Jedes Semester haben wir ein Projekt gemacht, das in Gruppen erarbeitet wurde. Die Semesterprojekte waren bewusst im Gegensatz zum Zentralabitur, dass seit 2014 in Hamburg gilt, konzipiert. Ich wollte mich nicht zum Erfüllungsgehilfen eines „Learning for the Test“ machen. Die SchülerInnen haben die Semesterprojekte immer als besondere Herausforderung und auch als zufrieden stellende Arbeit empfunden. Es waren wirklich Arbeiten, die selbst entwickelt und durchgeführt wurden. Für mich als Lehrender war es eine wichtige Herausforderung, die Aufgaben so zu stellen, dass sie einerseits offen und gestaltbar waren, aber auch die Bildungsplanthemen und Kompetenzen abdecken. Und nicht zuletzt müssen die Arbeiten bewertbar sein. In der Studienstufe zählt nun mal alles für das Abi und die Durchschnittsnote. Alles was bewertbar ist, hat seinen Wert. Die Semesterprojekte sind einzeln an anderer Stelle im meinem Blog besprochen.
Das Rückgrat der Klassendemokratie war der Klassenrat. Viele meinen, dass ist doch etwas für Jüngere, wo Konflikte in der Klasse besprochen werden. Ich denke jedoch, der Klassenrat ist die Grundlage jeder Demokratieerziehung. Viele wenden sicher ein, dafür wäre bei der Inhaltsdichte in der Studienstufe keine Zeit. Aber ich bin der Meinung, diese Zeit muss man sich nehmen. Der Klassenrat als autonome Willensbildung in der Klasse gibt den SchülerInnen das Gefühl, respektiert und akzeptiert zu werden. Der Klassenrat wurde vollständig von den SchülerInnen selbst organisiert, die Rollen des Gesprächsleiters, Meldelistenführer, Protokollant wechselten.
Alle SchülerInnen der Klasse haben die Zulassung zum Abitur erhalten. Keiner von ihnen hatte nach der 4. Klasse eine Gymnasialempfehlung. Ihnen wurde von den Grundschullehrern nicht zugetraut, Abitur zu machen. Allein dass sie es bis hierher geschafft haben, ist ein großer Erfolg. Sicher werden die Abschlussnoten bei dem einen oder anderen nicht grandios sein. Aber das ist nicht das entscheidende. 14 junge Menschen haben es trotz vieler Widrigkeiten es geschafft, sich mehr Bildung und Kompetenzen anzueignen, als ihnen eigentlich zugetraut wurde. Und hier hat das Zentralabitur, dass die Jungen Leute ab nächster Woche bestehen müssen, auch einen Vorteil: Das Abi an einer Stadtteilschule ist kein Abi-Light mehr. Es sind die gleichen Aufgaben wie in Bayern und in Sachsen.